Serie Vergütung im Einzelfall Teil 2/3: Art. 71a-d KVV weiterentwickeln und auf seinen Zweck zurückführen - Interpharma

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8. Dezember 2020

Serie Vergütung im Einzelfall Teil 2/3: Art. 71a-d KVV weiterentwickeln und auf seinen Zweck zurückführen

Wenn Patientinnen und Patienten ein Arzneimittel benötigen, das nicht zugelassen ist oder nicht auf der Spezialitätenliste des BAG steht und somit nicht durch die obligatorische Krankenversicherung vergütet wird, ist der Artikel 71a-d KVV das Rettungsboot. Über diese Vergütung im Einzelfall können sie trotzdem Zugang erhalten. Da in der Schweiz aber ein massiver Stau im regulären Vergütungsprozess besteht, müssen Ärztinnen und Ärzte immer öfter auf den Artikel 71a-d KVV ausweichen, um ihren Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung zu ermöglichen. Dies führt zunehmend zu einer Überlastung des an sich für andere Zwecke gedachten Artikels 71a-d KVV.

Neue innovative Arzneimittel stehen in der Schweiz mit einer zunehmenden Verzögerung zur Verfügung. Der standardmässige Vergütungsprozess des Bundesamts für Gesundheit (BAG) gerät immer mehr ins Stocken. Statistiken von Interpharma zeigen, dass 2019 nur elf von 46 gelisteten Produkten innert 60 Tagen nach Marktzulassung durch Swissmedic in die Spezialitätenliste (SL) aufgenommen wurden, wie es die Verordnung (KLV) vorschreibt. Über 50% der im 2019 neu vergüteten Produkte benötigten mehr als 120 Tage, bis es zum Vergütungsentscheid kam, während die Anzahl pendenten Fälle seit 2015 stark zugenommen hat. Per Ende 2019 haben insgesamt 136 Anträge nicht zu einem Entscheid bezüglich der Kassenvergütung geführt. Das bedeutet nichts anderes, als dass Patientinnen und Patienten in der Schweiz oft Monate oder gar Jahre auf eine flächendeckende Vergütung und somit auch auf den Zugang zu neuen Arzneimitteln warten müssen – denn hinter jeder Zahl steht ein Schicksal.

 

Dieser Stau bei der Aufnahme in die Kassenpflicht führt dazu, dass viele Ärzte bei den Krankenkassen ein Kostengutsprachegesuch im Einzelfall über Art. 71a-d KVV anfordern müssen, damit eine lebensnotwendige Therapie vergütet wird. Damit wird Art. 71a-d KVV von seinem ursprünglichen Zweck entfremdet, im Einzelfall Patientinnen und Patienten Zugang zu Medikamenten zu verschaffen, die beispielsweise in einer bestimmten Indikation nicht zugelassen sind.

Deshalb besteht die Gefahr, dass Artikel 71a-d KVV mehr und mehr zu einer «Überbrückungs-SL» wird – eine Umgehung für die realexistierenden Probleme des Medikamentenzugangs in der Schweiz. Dies ist nicht im Sinne eines rechts- und chancengleichen Gesundheitswesen, welches allen Patientinnen und Patienten gleichermassen offensteht. Denn im Gegensatz zur Standardvergütung liegt die Vergütungsentscheidung über Art. 71 KVV bei der jeweiligen Krankenkasse und hängt somit vom konkreten Einzelfall ab.

Interpharma hat mit dem sogenannten «beschleunigten Innovationszugang für Schweizer Patientinnen und Patienten» einen Vorschlag zur Prozessbeschleunigung beim regulären Aufnahmeverfahren in die Spezialitätenliste ausgearbeitet. Dabei sollen Patientinnen und Patienten in der Schweiz ab dem Tag der Swissmedic-Zulassung Zugang erhalten. Durch diese Beschleunigung werden die Fallzahlen über Artikel 71 reduziert und er wird wieder auf seinen ursprünglichen Zweck zurückgeführt: die Vergütung im Einzelfall.

Wir sind überzeugt, dass der Artikel 71a-d KVV auch in Zukunft seine wichtige Rolle als Rettungsboot im Patientenzugang spielen muss. Er muss aber seinen ursprünglichen Zweck behalten und sollte nicht  überlastet werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Standardprozesse der SL-Aufnahme beschleunigt werden und damit den innovativen Therapien Rechnung tragen.


Markus A. Ziegler

Mitglied der Geschäftsleitung / Leiter Market

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