Blogserie zur Jahresmedienkonferenz 2024, Teil 1: Schnellen Zugang zu innovativen Therapien für alle Patientinnen und Patienten in der Schweiz sicherstellen - Interpharma

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29. Januar 2024

Blogserie zur Jahresmedienkonferenz 2024, Teil 1: Schnellen Zugang zu innovativen Therapien für alle Patientinnen und Patienten in der Schweiz sicherstellen

Patientinnen und Patienten in der Schweiz müssen unnötig lang darauf warten, dass ihnen neuartige Behandlungen vollumfänglich zur Verfügung stehen. Insbesondere die Zeitspanne zwischen Marktzulassung und Kostenübernahme durch die obligatorische Grundversicherung könnte deutlich verkürzt werden. Schweizer Patientinnen und Patienten würden in mehrfacher Hinsicht profitieren, denn ein effizienterer und besser planbarer Prozess würde auch Anreize setzen, damit Medikamentenhersteller früher eine Zulassung beantragen. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Swissmedic, Bundesamt für Gesundheit und der Industrie, Lösungswege zu finden. Drei Elemente würden synergistisch ineinandergreifen: Ein rückvergüteter Innovationszugang ab dem ersten Tag der Zulassung, den Prozess der Vergütung zu beschleunigen sowie Planungs- und Rechtssicherheit herzustellen.

Sabine Bruckner, Geschäftsführerin Pfizer Schweiz und Chair des Executive Committee von Interpharma

Als forschende pharmazeutische Industrie möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, dass die Bevölkerung in der Schweiz schnell und gleichberechtigt am medizinischen Fortschritt teilhaben kann. Das ist aktuell jedoch nur bedingt der Fall.

Ein Prozess in zwei Phasen bestimmt darüber, wann Patientinnen und Patienten Zugang zu einem neuen Medikament erhalten. An mehrere Stellen kommt es zu Verzögerungen, das sind die gelb markierten Bereiche. Oder anders gesagt: An mehreren Stellen besteht die Möglichkeit, diesen Prozess zu beschleunigen.

Quelle: Interpharma (2023)

Die erste Prozess-Phase ist die Marktzulassung: Der Hersteller reicht ein Zulassungsgesuch bei der Swissmedic ein. Dies geschieht in der Regel etwas später als die Einreichungen bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA oder der europäischen EMA. Die zeitliche Lücke ist der sogenannte Submission Gap. Eine zweite Lücke, der Approval Gap, beschreibt das Zeitfenster zwischen einem positiven Vorbescheid der Swissmedic und der Marktzulassung durch die Behörde.

Mit der Marktzulassung beginnt die zweite Phase, deren Ziel es ist, dass sich Hersteller und Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf einen Preis für das neue Medikament einigen. Für diese Zeitspanne sind gemäss der Krankenpflegeleistungsverordnung gesetzlich 60 Tage anberaumt. Am Ende dieser zweiten Phase steht – bei erfolgreichem Verlauf – eine Aufnahme in die Spezialitätenliste und damit die Vergütung durch die obligatorische Grundversicherung. Letzteres bedeutet gleichberechtigen Zugang für die Schweizer Patientinnen und Patienten. In dieser zweiten Phase kommt es aktuell zu einer starken Verzögerung, dem «Reimbursement Gap». Auf die Ursachen und mögliche Lösungswege gehe ich gleich noch genauer ein.

Diese starke Verzögerung zwischen Zulassung und Vergütung erzeugt Unsicherheit. Sie erschwert beispielsweise die Produktionsplanung der Hersteller und ist einer der Hauptgründe, aus denen Firmen ihre Gesuche in der Schweiz später einreichen als bei anderen Behörden. Wir als Interpharma setzen uns deshalb für gute Rahmenbedingungen ein, denn wir wollen, dass die Firmen ihre Produkte schnell zu den Patientinnen und Patienten in der Schweiz bringen können. Alle beteiligten Akteure sind gefordert, die verschiedenen Gaps zu verringern, die am Ende des Tages zu einer Verzögerung des Zugangs für Patientinnen und Patienten führen. Swissmedic, BAG und Industrie müssen gemeinsam und kontinuierlich Lösungen erarbeiten und den Prozess optimieren.

Aus Sicht der Industrie kann ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit Swissmedic gut funktioniert. Wir haben einen starken Dialog und Swissmedic ist im internationalen Vergleich gesehen gut unterwegs. Hingegen stellt die grosse Verzögerung zwischen dem Moment der Zulassung und dem Vergütungsentscheid durch das BAG Hersteller vor grosse Herausforderungen. Und damit verstärkt sich ein negativer Kreislauf selbst: der wachsende Reimbursement Gap resultiert letztendlich in späteren Einreichungen, das heisst der Submission Gap wächst. Das hat kürzlich auch ein Bericht der eidgenössischen Finanzkontrolle thematisiert.

Der «Reimbursement Gap» näher betrachtet

Wird heute ein Medikament von Swissmedic zugelassen, dauert es im Median mehr als 300 Tage, bis der Medikamentenpreis durch das BAG festgelegt ist und die Therapie so für die Patientinnen und Patienten über die Krankenkassen vollumfänglich zur Verfügung steht.

Tatsache ist: Nur drei Produkte haben es innert der gesetzlich vorgesehenen Frist von 60 Tagen auf die Spezialitätenliste geschafft – 91 Prozent brauchten hingegen länger, fast 40 Prozent der Gesuche sogar über ein Jahr. Auch der «Stau», also die Anzahl hängiger Dossiers, ist mit 319 auf einem neuen Höchststand. Viele Menschen, die auf innovative Medikamente angewiesen sind, haben diese Zeit nicht und es ist unsere gemeinsame Aufgabe – von Behörden, Leistungserbringern und Industrie – Lösungswege zu finden, um den Zugang zu beschleunigen.

Quelle: Interpharma (2023)

Wir sehen mehrere Möglichkeiten für einen schnelleren Zugang:

1. Den Zugang für Patientinnen und Patienten ab dem Tag der Zulassung zu ermöglichen, während der Vergütungsprozess läuft.

2. Den Vergütungsprozess als solchen zu beschleunigen.

3. Generell Rechtssicherheit zu schaffen, um Planbarkeit herzustellen.

Selbstverständlich gilt hier: Das eine tun und das andere nicht lassen. Ich bin überzeugt, dass eine Kombination dieser drei Elemente den Zugang deutlich beschleunigen würde.

Element 1: Zugang ab «Tag 0» der Zulassung ermöglichen

Heute schon gibt es die Möglichkeit der Einzelfallvergütung, die allerdings für medizinische Einzelfälle vorgesehen ist, was auch so bleiben sollte. Der sogenannte «Early Access» im Rahmen der Revision der Krankenversicherungsverordnung (KVV) sieht erstmals die Möglichkeit paralleler Prozesse vor. Das bedeutet, Hersteller können, während der Swissmedic-Zulassungsprozess läuft und vor dem positiven Vorbescheid, beim BAG die Aufnahme in die Spezialitätenliste beantragen. Dies ist aus unserer Sicht ein guter und wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Er wird jedoch durch die revidierte Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) gleich wieder relativiert: Das BAG heisst einen solchen Antrag nämlich nur gut, wenn es, ich zitiere, «über die erforderlichen Ressourcen» verfügt. Dies ist eine willkürliche Bestimmung, die keine Rechts- und Planungssicherheit gibt, weder für die Medikamentenhersteller noch für die wartenden Patientinnen und Patienten.

Auch ist nun ein früher Dialog zwischen Swissmedic und Industrie möglich. Die Massnahmen in der KVV werden jedoch nicht ausreichen, um das Zugangsproblem zu lösen, das wir in der Schweiz nun leider schon seit 2016 haben. Interpharma hat bereits vor drei Jahren dem damaligen Gesundheitsminister das sogenannte Konzept des rückvergüteten Innovationszugangs (RIZ) vorgeschlagen. Darin haben wir aufgezeigt, wie der ordentliche Prozess optimiert und der sofortige, gleichberechtigte Zugang für alle Patientinnen und Patienten ab dem Tag der Swissmedic-Marktzulassung sichergestellt werden könnte.

Inzwischen hat sich das Parlament dieser Sache angenommen: Es hat im Rahmen des Kostendämpfungspakets 2 ein sehr ähnliches Konzept mit deutlicher Mehrheit verabschiedet. Es soll ermöglichen, dass neue innovative Medikamente zukünftig sofort ab dem Tag der Marktzulassung vergütet werden. Dafür wird ein provisorischer Preis gesetzt, den allerdings das BAG bestimmt, nicht die Industrie. Anschliessend starten die Behörden und die Industrie die regulären Verhandlungen. Sollte der definitive Preis niedriger ausfallen als der vorläufige Preis, so wird die Differenz von der Industrie zurückerstattet. Über diesen Weg können wir dafür sorgen, dass die Patientinnen und Patienten unmittelbar mit der Zulassung Zugang erhalten, ohne dass unter dem Strich dem Gesundheitswesen zusätzliche Kosten entstehen.

Wir hoffen entsprechend, dass Ende Januar auch der Ständerat dieses Konzept gutheissen wird. Das wäre ein vielversprechender Schritt hin zum «Zugang ab Tag 0» für die Patientinnen und Patienten in der Schweiz. Wir sind guten Mutes, dass die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Ständerates den vom Nationalrat eingeschlagenen Weg fortführt. Um den Kreis zu schliessen: für die Unternehmen würde der Schweizer Markt wieder attraktiver, weil Planungssicherheit herrscht.

Allerdings sollte der Ständerat noch einige Präzisierungen vornehmen: So sollte der provisorische Preis des BAG sinnvollerweise dem Auslandpreisvergleich (APV) entsprechen, welcher bereits heute zur Hälfte in den definitiven Preis einfliesst. Eine solche Lösung ist schnell, unbürokratisch und gewährleistet eine sichere Versorgung zu wirtschaftlichen Preisen. Der Zweitrat sollte zudem detaillierter regeln, welche Therapien unter einen solchen rückvergüteten Innovationszugang fallen. Der Nationalrat hat in seinem Entwurf den Begriff «fast track status» verwendet, für den es jedoch keine juristische Definition gibt. Es wäre daher wünschenswert, wenn der Ständerat hier präzisiert.

Element 2: Modernisierung des ordentlichen Vergütungsprozesses

Wie kann eine grundsätzliche Reform des ordentlichen Vergütungsprozesses aussehen? Aus unserer Sicht müsste ein solcher Prozess den Nutzen des Patienten stärker in den Mittelpunkt stellen. Konkret müsste er folgende drei Punkte berücksichtigen:

1. Die Beurteilung des Nutzens eines Medikaments einerseits für Patienten und andererseits für das Gesundheitssystem. Wenn etwa jemand dank Medikamenten einen Tag kürzer ins Spital muss oder ein Spitalaufenthalt vermieden werden kann, hilft dies, Kosten zu sparen. Der Preis sollte sich nach dem Nutzen richten.

2. Bereits heute bilden Vergleichstherapien gemeinsam mit dem Auslandpreisvergleich die Basis für die Definition des definitiven Preises. Diese Auswahl muss jedoch transparenter und nachvollziehbarer werden.

3. Es gilt, eine für alle Seiten tragbare Lösung für besonders umsatzstarke Produkte zu finden. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass bei einer sehr grossen Nachfrage für ein Medikament, ab einer bestimmten Umsatzschwelle ein Teil dieses Umsatzes zurückerstattet wird.

Element 3: Rechtssicherheit schaffen

Es ist grossartig zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit sich der medizinische Fortschritt weiterentwickelt. Aber natürlich entstehen mit verbesserten Möglichkeiten auch mehr Fragen und neue Herausforderungen. Diese müssen wir adressieren, damit Patientinnen und Patienten von den Innovationen auch tatsächlich profitieren können.

Die neue Generation von Therapien umfasst sogenannte Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs) wie Gen-, Zell- und Gewebetherapien. Diese stehen zukünftig an der Spitze der Innovation im Gesundheitswesen. In der Schweiz werden ATMPs bisher als Transplantatprodukte behandelt. Gleichzeitig werden sie weitgehend den Arzneimitteln gleichgestellt, was zu einer rechtlich unsicheren Situation führt.  Bei einem Blick ins Ausland sehen wir, dass die Schweiz der internationalen Entwicklung hier hinterherhinkt.

In der aktuellen Teilrevision des Heilmittelgesetzes wird neu eine Definition von Arzneimitteln für neuartige Therapien vorgeschlagen, welche alle ATMPs beinhaltet. Wir als Interpharma begrüssen die angestrebte Schaffung eines rechtlichen Rahmens für neuartige Therapien sehr und finden es auch sinnvoll, dass eine weitgehende Angleichung an das EU-Recht stattfinden soll.

Wir fordern zudem einen einheitlichen, vom BAG gesteuerten Prozess, sodass alle von Swissmedic zugelassenen Produkte unkompliziert über die Spezialitätenliste vergütet werden. Denn für bestimmte ATMPs, wie CAR-T-Zelltherapien, die nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen wurden, waren Zeit- und Ressourcen-intensive Verhandlungen zwischen Krankenkassenverbänden, Pharmafirmen und Krankenhäusern notwendig, um Lösungen zu finden. Das hat zu einer ungleichen Behandlung von Patienten geführt. Ein einheitlicher Prozess wäre daher eine wichtige Verbesserung.

Zusammenfassend stellen ein rückvergüteter Innovationszugang, Verbesserungen des Prozesses der Vergütungsfindung sowie Rechtssicherheit schaffende Massnahmen wichtige Schritte da, um den Schweizer Patientinnen und Patienten schnellen und gleichberechtigen Zugang auch zu den neuen Generationen medizinischer Innovationen zu sichern.

Über uns

Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.

Interpharma informiert die Öffentlichkeit über die Belange, welche für die forschende Pharmaindustrie in der Schweiz von Bedeutung sind sowie über den Pharmamarkt Schweiz, das Gesundheitswesen und die biomedizinische Forschung.

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