26. März 2020
Projekte und Massnahmen forschender Pharma-Unternehmen gegen die Coronavirus-Epidemie Covid-19
Was ist was?
Coronavirus: Es handelt sich um den
Oberbegriff für eine Familie von Viren, die Menschen oder Tiere befallen. Die
Erreger von SARS in den Jahren 2002/2003, MERS und mehreren Erkältungsformen
zählen ebenfalls dazu.
SARS-CoV-2: Der Erreger der aktuellen Pandemie erhielt diesen Namen im Februar 2020. Häufig wird er einfach „neuartiger Coronavirus“ genannt. Die Abkürzung steht für Severe Acute Respiratory Syndrome-Coronavirus
Covid-19: Zum Glück erkrankt nicht jede Person, die sich mit SARS-CoV-2 ansteckt. Diejenigen, die nach einer Ansteckung mit dem neuen Erreger Symptome zeigen, leiden unter der Atemwegserkrankung Covid-19. Die Bezeichnung leitet sich ab von „Coronavirus-Disease“ und dem Jahr des ersten Auftretens, 2019.
Noch nie haben Pharma-Unternehmen und Forschungseinrichtungen so schnell auf einen neuen Erreger reagiert wie auf das neue Coronavirus SARS-CoV-2, das die Krankheit Covid-19 hervorruft. Sie entwickeln Impfstoffe, erproben vorhandene Medikamente auf ihre Eignung und entwickeln neue Arzneimittel. Auch kooperieren sie vielfach untereinander. Hier ein Überblick über die laufenden Aktivitäten.
Laufende Impfstoffprojekte
Derzeit gibt es nach Interpharma Informationen diverse
Projekte für Impfstoffe gegen SARS-CoV-2. Allerdings sind nicht alle
chinesischen Projekte bekannt.
Mehrere Projekte werden von CEPI, der Coalition for Epidemic Preparedness
Innovations, finanziell unterstützt. Andere Projekte werden unabhängig von CEPI
durchgeführt.
Etappen einer
Impfstoff-Entwicklung
Die Entwicklung jedes neuen Impfstoffs erfolgt – vereinfacht
dargestellt – über mehrere Etappen:
- Analyse des Virus: Was daran ruft
Immunreaktionen hervor?
- Design des Wirkstoffs: Was vom Virus und welche
Zusatzstoffe sollen enthalten sein?
- Erprobung mit Tieren
- Erprobung mit Freiwilligen
- Zulassungsverfahren in der EU (entsprechend in
den USA, China, Japan etc.)
- Massenproduktion des zugelassenen Impfstoffs
Dank guter Vorbereitung der Unternehmen und Forschungseinrichtungen
auf den Epidemiefall, Erfahrung mit den verwandten SARS- und MERS-Viren sowie
prioritärer Bearbeitung aller Anträge durch die Arzneimittelbehörden wird es
voraussichtlich möglich sein, die Etappen weit schneller als je zuvor zu
durchlaufen. Auch unter diesen Umständen gehen offizielle Stellen aber davon
aus, dass ein zugelassener Impfstoff frühestens in 12 bis 18 Monaten verfügbar
sein kann.
Bislang hat noch bei keinem Impfstoff die Erprobung mit
Freiwilligen begonnen.
Es
ist zu hoffen, dass möglichst viele Unternehmen und Forschungsinstitute rasch
ans Ziel kommen; denn das steigert die Chancen, dass sich unter Nutzung der
vorhandenen Produktionskapazitäten genügend Impfeinheiten für eine globale
Impfkampagne herstellen lassen.
Die aktiven Unternehmen sind:
- Das Unternehmen Janssen (im Konzern Johnson & Johnson) hat angekündigt, einen
Impfstoff mit einer Technologie zu entwickeln, die schon für einen
Ebola-Impfstoff zum Einsatz kam, der derzeit in der EU im Zulassungsverfahren
ist. Es arbeitet dafür mit der staatlichen Organisation Biomedical Advanced
Research and Development Authority (BARDA) zusammen.
- Sanofi
arbeitet gemeinsam mit der Beschaffungsagentur Barda des
US-Gesundheitsministeriums an einem Impfstoff basierend auf einem eigenen
präklinischen Kandidaten aus der früheren SARS-Forschung. Sowohl SARS als auch
Covid-19 sind Coronaviren.
- GlaxoSmithKline: GlaxoSmithKline (GSK) und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Koalition für Innovationen in der Epidemievorsorge) haben eine neue Zusammenarbeit gebildet, um die weltweiten Bemühungen um die Entwicklung eines Impfstoffs für das COVID-19 zu unterstützen. In diesem neuen Schritt wird GSK seine etablierte Plattformtechnologie für Pandemie-Impfstoffe zur Verfügung stellen, um die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs gegen COVID-19 zu fördern. GSK ist führend in der Entwicklung innovativer Impfstoffe mit verschiedenen Adjuvans-Systemen. Einige Impfstoffe werden mit einem Adjuvans versehen, um die Immunreaktion zu verstärken und dadurch möglicherweise eine stärkere und länger anhaltende Immunität gegen Infektionen zu schaffen als der Impfstoff allein. Die Verwendung eines Adjuvans kann in einer Pandemie-Situation von besonderer Bedeutung sein, da es die Menge des pro Dosis benötigten Antigens verringern kann, so dass mehr Impfstoffdosen hergestellt und mehr Menschen zur Verfügung gestellt werden können.
Erprobung vorhandener Medikamente
Schneller als Impfstoffe sind möglicherweise Medikamente zur Behandlung von Infizierten verfügbar. Denn zahlreiche Medikamente, die schon gegen andere Krankheiten zugelassen oder zumindest weitgehend erprobt sind, kommen dafür in Betracht. Ihre tatsächliche Eignung wird derzeit in klinischen Studien mit Covid-19-Patienten geprüft. Es sind vor allem Medikamente der folgenden Art:
- Virustatika,
die ursprünglich gegen HIV, Ebola, Hepatitis C, Grippe, SARS oder MERS (zwei
von anderen Coronaviren hervorgerufene Krankheiten) entwickelt wurden. Sie
sollen die Vermehrung der Viren blockieren oder verhindern, dass sie in
Lungenzellen eindringen. Auch ein altes Malaria-Medikament wird geprüft, dessen
Wirksamkeit gegen Viren erst vor kurzem entdeckt wurde.
- Immunmodulatoren,
die gegen Rheumatoide Arthritis oder entzündliche Darmerkrankungen entwickelt
wurden. Sie sollen die Abwehrreaktionen des Körpers so begrenzen, dass diese
nicht noch mehr Schaden anrichten als die Viren selbst.
- Medikamente für Lungenkranke, die z.B. gegen idiopathische Lungenfibrose entwickelt
wurden. Sie sollen verhindern, dass die Lunge der Patienten das Blut nicht mehr
mit genug Sauerstoff versorgen kann.
Die Unternehmen stellen ihre Medikamente zur Verfügung; die
Erprobung findet großenteils in chinesischen Krankenhäusern statt, weil es dort
die meisten Patienten gibt.
Bislang liegen einige positive Einzelfallberichte vor; doch
von keinem Medikament sind Wirksamkeit und Verträglichkeit bei
Covid-19-Patienten systematisch bestätigt.
- Remdesivir wurde von Gilead Sciences ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt (gegen die es sich nicht bewährt hat), zeigte aber im Labor Wirksamkeit gegen MERS-Viren. Nun wird das Medikament mit diesem Wirkstoff in mehreren Studien gegen SARS-CoV-2 erprobt.
- Anfangs März veröffentlichten chinesische Mediziner eine Studie, die Anlass zu leiser Hoffnung gibt. Sie beschreiben, wie ein das Immunsystem regulierendes Medikament von Roche sehr gut bei der Behandlung Schwerstkranker wirkte. Es ist offenbar das körpereigene Abwehrsystem, das im Kampf gegen die Viren Amok läuft und die Lunge massiv schädigt, und dagegen hilft das Roche-Mittel. Von 20 behandelten Patienten erholten sich 19 so gut, dass sie nach zwei Wochen aus dem Spital entlassen werden konnten: «Nach wenigen Tagen sank das Fieber auf Normaltemperatur, und alle Symptome verbesserten sich merklich», heisst es im Studienbericht. Die Resultate bewogen Chinas Gesundheitskommission dazu, das Heilmittel Actemra Anfang März in die offiziellen Behandlungsrichtlinien für Covid-19-Patienten aufzunehmen. … «Unsere Produktionsteams arbeiten mit Hochdruck daran, die Menge an Actemra zu bestimmen, die wir potenziell zur Verfügung stellen können», sagt ein Roche-Sprecher. Zum jetzigen Zeitpunkt könne er noch keine Angaben zum Ausstoss machen, aber «wir werden alles daran setzen, so viele Dosen wie möglich zur Verfügung zu stellen»
- Auch Hydroxychloroquin, ein älteres Malariamedikament von Novartis, wird als Therapie in klinischen Studien erprobt. Novartis will bis Ende Mai 130 Millionen Dosen spenden, sollte es Wirkung zeigen.
- CytoDyn prüft, ob sein Antikörper-Wirkstoff Leronlimab gegen das Coronavirus wirksam ist. Entwickelt wird er seit längerem gegen HIV und tripel-negativen Brustkrebs, wofür er auch schon in Studien erprobt wird. Nun ist eine Phase-II-Studie zu Covid-19 beantragt.
- AbbVie hat ein weiteres HIV-Medikament mit der Wirkstoffkombination Lopinavir / Ritonavir chinesischen für die Erprobung als Covid-19-Therapeutikum zur Verfügung gestellt. Studien mit Patienten laufen, darunter auch eine Studie, in der die Patienten zusätzlich Novaferon von Beijing Genova Biotech inhalieren. Dieses Alpha-Interferon ist in China zugelassen zur Therapie von Hepatitis B.
- Resochin, ein 1934 von Bayer entdecktes und zur Vorbeugung und Behandlung von Malaria eingesetztes Produkt, scheint ebenfalls ein breites Spektrum an antiviraler Eigenschaften und Auswirkungen auf die Immunantwort des Körpers zu haben. Neue Daten aus der ersten präklinischen und sich entwickelnden klinischen Forschung in China sind zwar begrenzt, zeigen aber das Potenzial für den Einsatz von Resochin bei der Behandlung von Patienten mit COVID-19-Infektion.
- Das Unternehmen Ascletis Pharma kombiniert Ritonavir stattdessen mit einem in China gegen Hepatitis C zugelassenen Medikament mit dem Wirkstoff Danoprevir. Studien laufen.
- In China wurden ferner dem Unternehmen Zhejiang Hisun Pharmaceutical klinische Studien zur Covid-19-Therapie mit einem antiviralen Medikament mit dem Wirkstoff Favilavir genehmigt. Favilavir hat bislang nur eine Zulassung für die Grippetherapie (in Japan und China).
- Ebenfalls eigentlich gegen Grippe in Entwicklung ist ATR-002, ein Kinaseinhibitor des Unternehmens Atriva Therapeutics in Tübingen. Nun prüft das Unternehmen, ob der Wirkstoff auch die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmen kann.
- APEIRON Biologics (Wien) und die Universität von British Columbia wollen das Medikament APN01 erproben, das aus der SARS-Forschung hervorgegangen ist und zwischenzeitlich auch schon in Patientenstudien gegen andere Lungenerkrankungen erprobt wurde. Es blockiert ein Molekül an der Oberfläche der Lungenzellen, das die Viren als Angriffspunkt für den Eintritt in die Zellen nutzen.
Neue Medikamente
Einige Unternehmen und Forschungsinstitute wollen auch neue Medikamente gegen Covid-19 entwickeln. Im Zentrum steht dabei das Blutserum von Patienten, die von einer Covid-19-Infektion genesen sind (das sogenannte “Rekonvaleszentenserum”). Es enthält Antikörper, die das Immunsystem der Patienten in Reaktion auf die Infektion gebildet hat. Die Hoffnung ist, dass einige dieser Antikörper imstande sind, SARS-CoV-2 im Körper vermehrungsunfähig zu machen.
Biotest, BPL, LFB und Octapharma haben sich einer Allianz angeschlossen, die von CSL Behring und Takeda Pharmaceutical Company Limited gebildet wurde, um eine potenzielle Therapie aus Plasma zur Behandlung von COVID-19 zu entwickeln. Die Allianz wird unverzüglich mit der Entwicklung eines polyklonalen Anti-SARS-CoV-2-Hyperimmun-Immunglobulin-Medikaments beginnen, das das Potenzial hat, Personen mit schweren Komplikationen durch COVID-19 zu behandeln.
Weitere Unternehmen und Forschungsgruppen in der Welt folgen
ebenfalls diesem Grundgedanken, gehen aber biotechnisch einen Schritt weiter:
Sie gehen ebenfalls von Rekonvaleszenten-Serum aus, picken aber die
bestgeeigneten Antikörper heraus und “kopieren” sie dann mit
biotechnischen Mitteln, um damit ein Medikament herzustellen. Eins dieser
Projekte wird vom schwedischen Karolinska Institut verfolgt. Ein weiteres
betreiben die Unternehmen AbCellera und Lilly,
die verkündet haben, dass binnen Monaten mit den wirksamsten von mehr als 500
gewonnenen Antikörpern ein Medikament entwickelt werden soll, dass mit
Patienten erprobt werden kann. Auch AstraZeneca
und Boehringer Ingelheim mit dem
Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) arbeiten daran, auf diese
Weise ein Medikament zu entwickeln.