Warum eine Ausweitung des WTO-Beschluss zum TRIPS-Abkommen auf Therapeutika und Diagnostika die Global Health Security gefährdet - Interpharma

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26. September 2022

Warum eine Ausweitung des WTO-Beschluss zum TRIPS-Abkommen auf Therapeutika und Diagnostika die Global Health Security gefährdet

Die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben an der 12. Ministerkonferenz (MC12) vom Juni 2022 ein Paket von Beschlüssen angenommen. Obwohl Interpharma die Bedeutung dieser Einigung für das Funktionieren der WTO anerkennt, bedauern wir den Beschluss im Bereich des geistigen Eigentums ausserordentlich: Zwar setzt dieser nicht wie ursprünglich vorgeschlagen, die im TRIPS-Abkommen festgelegten Schutzrechte betreffend Produktion und Lieferung von COVID-19 Impfstoffen ausser Kraft, erleichtert jedoch die Bedingungen für die Erteilung von Zwangslizenzen.

Für zukünftige Pandemien ist der WTO-Beschluss zur Lockerung des Patentschutzes für COVID-19 Impfstoffe ein falsches Signal, denn damit wird der Anreiz genommen, in Forschung und Innovation zu investieren. Freiwillige Industriekooperationen und Produktepartnerschaften spielten bei der COVID-19 Impfstoffentwicklung und -versorgung eine fundamentale Rolle. Als solide rechtliche Basis für Vereinbarungen haben die Schutzrechte am geistigen Eigentum dieses beispiellos schnelle Hochfahren der Impfstoffproduktion überhaupt erst ermöglicht.

Gemäss WTO-Beschluss zum TRIPS-Abkommen betreffend COVID-19 Impfstoffe sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten nach dem Beschluss, darüber zu entscheiden, diesen auf COVID-19 Therapeutika und Diagnostika auszuweiten. Eine Annahme der Ausweitung des Beschlusses auf COVID-19-Therapeutika und -Diagnostika wäre aus mehreren Gründen problematisch und würde den möglichen Anwendungsbereich und den damit verbundenen Kollateralschaden für die Industrie enorm vergrössern.

Angebot an Therapeutika übersteigt die Nachfrage

Auch nach über zwei Jahren COVID-19 Pandemie gibt es keine Hinweise dafür, dass geistiges Eigentum den Zugang zu Impfstoffen, Therapeutika oder Diagnostika behindert hat. Vielmehr bilden geistiges Eigentum und dessen Schutz die Basis für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Eine Schwächung des IP-Schutz wird den Zugang der Weltbevölkerung zu Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika nicht verbessern.

Gemäss Angaben des Datenanalyseunternehmen Airfinity ist ein grösserer Versorgungsengpass für COVID-19 Behandlungen weder eingetreten noch wird er erwartet. Die weltweite Nachfrage nach COVID-19 Therapeutika wurde ständig nach unten korrigiert und es gibt keine Hinweise darauf, dass das Angebot im Verhältnis zur tatsächlichen Nachfrage eingeschränkt ist. Derzeit übersteigt die Produktion die Nachfrage nach COVID-19 Behandlungen.

Zugangsbeschränkung aufgrund globaler Politik- und Beschaffungsentscheide

Der Zugang zu COVID-19 Behandlungen wird durch unterschiedliche Umstände beeinflusst: So können die begrenzten internationalen Mittel, um Ländern mit niedrigem Einkommen eine schnelle Beschaffung von COVID-19-Therapeutika zu ermöglichen ein Zugangshindernis darstellen. Beispielsweise wurden die Finanzierungsziele für ACT-A Tx (Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator Therapeutics, eine internationale Kampagne, die im April 2020 von der WHO und einer Gruppe von Gesundheitsakteuren (inkl. IFPMA) gestartet wurde) nicht erreicht. Trotz der Verfügbarkeit von Angeboten innovativer Unternehmen und lizenzierter Generikahersteller bleiben Nachfrage, Prognosen und Kaufanfragen an globale Beschaffungsorganisationen unter den Erwartungen. Dies obwohl die Unternehmen mit Beschaffungspartnern zusammenarbeiten, um rechtzeitig Liefervereinbarungen zu treffen, damit gefährdete Bevölkerungsgruppen in Ländern mit niedrigem Einkommen erreicht werden können.

Kontinuierliche Forschung ist entscheidend

Dank eines robusten Patentschutzes war es Firmen möglich, sehr schnell und umfassend Impfstoffe und Therapeutika zu entwickeln, die strengsten, wissenschaftlichen Standards entsprechen. Das Patentsystem ermöglichte auch Investitionen in den Ausbau der Produktion auf eigenes Risiko.

Wir werden wahrscheinlich künftig mit COVID-19 und anderen Viren mit pandemischem Potenzial leben müssen. Angesichts des Risikos, dass sich Resistenzen gegen bestehende Behandlungen bilden oder dass bestimmte Personen auf verfügbare therapeutische Optionen nicht gut ansprechen, bleibt weitere Forschung von entscheidender Bedeutung.

Gesunde Pipeline durch starken IP-Schutz

Zusätzlich zu den 36 zugelassenen Therapeutika befinden sich derzeit Hunderte von Wirkstoffen in der Forschungsphase und mehrere potenzielle Therapien in der Entwicklung, mehrheitlich von kleinen Biotech-Unternehmen, die auf Risikokapitalfinanzierung angewiesen sind. Eine weitere Schwächung des IP-Schutzes würde zu einem unsicheren Investitionsumfeld führen. Investoren würden ihre Investitionen zurückziehen, was weitreichende negative Auswirkungen auf die Pipeline potenzieller COVID-19 Therapeutika hätte.

Eine Ausweitung könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, da Regierungen den Begriff «Gesundheitsnotstand» (Public Health Emergency) äusserst breit interpretieren und einen unangemessenen Zugang zu verschiedenen patentierten anstreben könnten, die nur peripher mit einer Pandemie zusammenhängen. Eine Ausweitung des TRIPS-Beschlusses auf Therapeutika und Diagnostika birgt somit ein Missbrauchspotential, da sich Zwangslizenzen – anders als bei Impfstoffen – nicht auf COVID-19-spezifische Produkte beschränken lassen.

Spillover-Effekt auf andere Therapeutika

Einige der zur Behandlung von COVID-19 zugelassenen Therapeutika sind auch für andere Indikationen zugelassen oder könnten dies künftig sein. Eine Ausweitung des Beschlusses bliebe deshalb nicht auf Therapeutika gegen COVID-19 begrenzt, sondern könnte sich auf Produkte mit anderen Anwendungen auswirken, wie neue orale Antikoagulanzien, Entzündungshemmer und Antiinfektiva. Es wäre unmöglich, die Auswirkungen des Beschlusses nur auf die Verwendung eines Produkts für COVID-19 zu beschränken.

Sollte die Ausweitung genehmigt werden, könnte eine breite Palette von Therapeutika mit Indikationen, die nicht direkt mit der Pandemie in Zusammenhang stehen, zu leichten Zielen für Zwangslizenzen werden. Dies würde die Rechtssicherheit, die die Industrie für weitere Innovationen benötigt, erheblich untergraben und letztlich den Patienten weltweit schaden.

Vorhanden Strukturen nutzen: Voluntary Licences Agreements

Die meisten COVID-19-Therapeutika, die den Markt erreicht haben, waren Gegenstand einer breit angelegten freiwilligen Lizenzierungsstrategie, auch über vertrauenswürdige Vermittler wie den Medicines Patent Pool (MPP). Eine Ausweitung des WTO-Beschlusses würde das Vertrauen und möglicherweise auch die Ressourcen untergraben, die für das Funktionieren dieser Kooperationen nötig sind.

Betrachtet man die gesamte Forschung und Entwicklung, so gibt es 150 freiwillige Kooperationen für Therapeutika, von denen etwa 80% einen Technologietransfer beinhalten. Diese Kooperationen beruhen auf jahrzehntelangen Investitionen des Privatsektors, die durch einen starken Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht wurden.

Die freiwillige Lizenzvergabe bietet eine Möglichkeit, das Angebot an Arzneimitteln zu erhöhen, und zwar mit der zusätzlichen Unterstützung sowohl des Originalherstellers als auch von Partnern wie dem MPP für Qualitätskontrolle und Zulassungsanträge. Produkte, die im Rahmen des WTO-Beschlusses hergestellt werden, unterliegen möglicherweise keinen Qualitätskontrollen und keiner behördlichen Aufsicht, wie sie in freiwilligen Lizenzen, wie denen des MPP, vorgesehen sind.

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