26. August 2020
Serie Kündigungsinitiative Teil 4: Die Kündigungsinitiative verschärft den akuten Fachkräftemangel vieler Branchen in der Schweiz
Der Schweizer Arbeitsmarkt ist darauf angewiesen qualifizierte Arbeitskräfte flexibel auch im EU-Raum rekrutieren zu können. Ohne diese Möglichkeit besteht die Gefahr, dass sich der Fachkräftemangel der Schweiz weiter zuspitzt.
Die Schweizer Stimmbevölkerung stimmt am 27. September 2020
über die Kündigungsinitiative der SVP ab. Die Initiative verlangt die
Beendigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU. Das Abkommen
zwischen der EU und der Schweiz ist seit 2002 in Kraft. Durch die
Personenfreizügigkeit werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen für
EU-Bürgerinnen und -Bürger in der Schweiz und für Schweizerinnen und Schweizer
in EU-Mitgliedsstaaten durch die gegenseitige Anerkennung von Berufsdiplomen,
das Recht auf den Erwerb von Immobilien und die Koordination der
Sozialversicherungssysteme vereinfacht. In der von der SVP lancierten
Initiative wird nun gefordert, diese Personenfreizügigkeit auf dem
Verhandlungsweg zu beenden. Sollte dieser Verhandlungsweg scheitern, soll die
Personenfreizügigkeit innert 30 Tagen gekündigt werden. Aufgrund der
«Guillotine-Klausel» werden darauffolgend auch alle anderen Abkommen der
bilateralen Verträge I mit der EU (namentlich die Abkommen zu technischen
Handelshemmnissen (auch MRA – «Mutual Recognition Agreement» – genannt),
öffentlichem Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr und
Forschung) beendet. Somit gefährdet die Kündigungsinitiative nicht nur das
Personenfreizügigkeitsabkommen, sondern die gesamten bilateralen Verträge I mit
der EU.
Der Wegfall der Personenfreizügigkeit hätte gravierende
Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Die Schweiz leidet unter akutem
Fachkräftemangel in verschiedenen Branchen und dieser hat sich im Jahr
2019 noch weiter verstärkt. Um diesem Mangel entgegenzuwirken, ist es für
Unternehmen in der Schweiz von zentraler Bedeutung, geeignete Fachkräfte auch
aus dem EU-Raum rekrutieren zu können. Die Rekrutierung von ausländischen
Fachkräften führt aber nicht zu einem Stellenverlust für Schweizerinnen und
Schweizer, sondern führt viel mehr dazu, dass es in der Schweiz insgesamt mehr
Arbeitsplätze gibt. Seit 2002 sind somit in der Schweiz rund 700’000
neue Arbeitsplätze entstanden, von welchen Schweizer Bürgerinnen und Bürger
rund die Hälfte besetzen.
Auch die Schweizer Pharmaindustrie ist auf das Fortbestehen
des Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU angewiesen. Aufgrund ihres
starken Wachstums benötigen die Pharmaunternehmen in der Schweiz deutlich
mehr Fachkräfte als national ausgebildet werden. Zudem sind in der
Pharmaindustrie überdurchschnittlich viele hochqualifizierte Arbeitskräfte
beschäftigt. Die Schweiz leistet mit ihrem qualitativ hochwertigen
Bildungssystem einen wichtigen Beitrag dazu. Trotzdem wird das Schweizer
Bildungssystem durch den technologischen Wandel und die damit verbundene
Digitalisierung gefordert. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass
pharmazeutische Unternehmen Fachkräfte unbürokratisch auch aus
EU-Mitgliedsstaaten rekrutieren können.
Ohne das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU würde die
Schweiz demnach einen wichtigen Faktor ihrer Attraktivität als erfolgreicher
Unternehmensstandort verlieren. Hiesigen Unternehmen würde es zusätzlich
erschwert, geeignete Fachkräfte rekrutieren zu können. Auch die Pharmaindustrie
in der Schweiz, welche zentral ist für das Schweizer Wirtschaftswachstum und
den damit verbundenen Wohlstand, wäre mit einer erschwerten und
kostenintensiveren Rekrutierung konfrontiert.
Die Schweiz ist insbesondere auch in der aktuellen
Coronakrise darauf angewiesen, ihren Arbeitsmarkt so stabil wie möglich zu
halten, wozu die bilateralen Verträge mit der EU zentral sind.