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14. Oktober 2025

René Buholzer im Interview mit Finanz und Wirtschaft

In einem Interview mit FuW äusserte sich René Buholzer zum Pharmastandort Schweiz im Zeichen der US-Zollpolitik. Den Originalartikel finden Sie hier.

Die US-Politik mit Zolldrohungen und der Forderung nach tieferen Medikamentenpreisen stellt zusammen mit weiteren Entwicklungen für den CEO des Verbands der grossen Pharmaunternehmen eine existenzielle Gefahr für den Standort Schweiz dar.

Mit der Ankündigung eines Zolls von 100% auf patentierte Medikamente und der Forderung nach Preisen auf dem Niveau ähnlich entwickelter Länder setzt US-Präsident Donald Trump die Pharmaindustrie unter Druck. Der vergangene Woche angekündigte Deal mit Pfizer hat dann aber für Entwarnung gesorgt. Pharmaaktien sind gestiegen.

Pfizer hat ihre Prognosen für Umsatz- oder Gewinnentwicklung nicht angepasst. Die Zugeständnisse mit Rabatten betreffen einerseits nur umsatzmässig eher unbedeutende Medikamente, andererseits nur die relativ kleinen Marktsegmente der Selbstzahler (der Marktanteil dürfte im tiefen einstelligen Bereich liegen) sowie der staatlichen Versicherung für Bedürftige Medicaid (Marktanteil ca. 10%), die ohnehin schon von grossen Preisabschlägen profitiert.

Der CEO von Interpharma, dem Schweizer Verband der grossen, forschenden Pharmaunternehmen, dem neben den heimischen Roche und Novartis alle grossen Konzerne aus den USA, Europa und Japan angehören, bleibt aber skeptisch. Im Interview äussert er sich unter anderem zu den drohenden höheren Medikamentenpreisen in Europa und der Gefahr der Verlagerung von Produktion und Forschung in die USA. Er hat klare Vorstellungen, wie die Schweiz gegensteuern könnte.

Herr Buholzer, der Deal zwischen der US-Regierung und Pfizer hat an den Börsen für Entwarnung gesorgt. Alles halb so schlimm?

Aus Standortsicht sind wir besorgt darüber, wie sich die Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie weltweit entwickeln. Allerdings ist vieles noch unklar. Mit dem angekündigten Zoll von 100% versucht Präsident Trump, Vereinbarungen zwischen weiteren Unternehmen und der US-Regierung wie im Fall von Pfizer zu erreichen. Zudem sind auch Zölle auf der Grundlage einer Bedrohung der US-Sicherheit möglich, die sogenannte Section 232. Auf welcher Rechtsgrundlage die angedrohten Zölle basieren, wissen wir derzeit nicht mit Sicherheit.

Was bezwecken die Amerikaner genau?

In unserer Wahrnehmung geht es ihnen darum, die innovative und wertschöpfungsintensive Pharmaproduktion in die USA zu holen, Generika stehen nicht im Fokus. Patentgeschützte Medikamente machen rund 40% der Schweizer Exporte aus, und 28% dieser Exporte gehen in die USA. Wir sind also recht exponiert.

Roche und Novartis haben bereits US-Investitionen von 50 und 23 Mrd. $ angekündigt. Was hat die Schweiz zu verlieren?

Wir haben versucht, das zu erheben und hochzurechnen, was nicht ganz einfach ist, da die einzelnen Steuerzahlungen vertraulich sind. Unsere Berechnungen zeigen aber, dass etwa 5 Mrd. Fr. an jährlichen Steuern gefährdet sind: 3 Mrd. an Unternehmenssteuern und 2 Mrd. Fr. von den Arbeitnehmern. Aus Patientensicht besorgt mich aber die mögliche Einführung eines Referenzpreissystems, die Most Favored Nation Executive Order, noch mehr.

Die Unternehmen könnten versuchen, höhere Preise in Europa durchzusetzen, um das zu entschärfen.

Interpharma vertritt ja die grossen Pharmaunternehmen, und die haben grösstenteils schon Produktionsanlagen im grössten Markt der Welt. Entsprechend erscheint die Zollsituation zwar einschneidend, aber bewältigbar, sofern genug Zeit für die Produktionsverlagerung zur Verfügung steht. Mit der Most Favored Nation Executive Order verbindet Trump den Vorwurf des Trittbrettfahrens. Das Gleiche hat er auch bei der Nato gesagt. Sinngemäss heisst es: «Wir Amerikaner haben die Pharmaforschung finanziert, während die Europäer davon profitiert haben.» Diese Aussage ist nicht total falsch, wenn man die Zahlen anschaut.

Was bedeutet das für die Schweiz?

Wenn die Preise in den USA sinken, sich aber in Europa und weiteren OECD-Ländern nichts tut, dann ist das für die Schweiz eine sehr schlechte Sache. Wenn man tiefere US-Preise konsequent weiterdenkt, dann wird letztendlich weniger Geld da sein für Forschung und Entwicklung. In der Schweiz, wo unsere Mitgliedfirmen zuletzt Medikamente für 4.4 Mrd. Fr. verkauft und über 9 Mrd. Fr. für Forschung und Entwicklung aufgewendet haben, würden die Entwicklungsbudgets wohl kleiner. Das ginge letztlich zulasten des Wohlstands. Wenn die Preise in Europa steigen, haben wir dafür ein Finanzierungsthema im Gesundheitswesen. Beides sind schlechte Neuigkeiten.

Wenn die Pharmaexporte in die USA abnehmen, dann wird es auch weniger Angestellte brauchen.

Damit bin ich nicht einverstanden. Ich gehe schon davon aus, dass der Exportanteil von 28% in die USA sinken wird. Unsere Mitgliedfirmen sagen aber, die Beschäftigung sei dank ihrer Wachstumspläne nicht betroffen. Für den Standort – nicht die Unternehmen – ist die entscheidende Frage, ob wir andere Märkte erschliessen können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Welt salopp gesagt kleiner geworden ist, weil Amerika autarker agiert. Das ist auch in China der Fall. Die beiden grössten Märkte sagen also, wenn du bei mir verkaufen willst, musst du auch bei mir produzieren.

Was wäre, wenn nach China und den USA auch die EU auf diesen Geschmack käme?

Das wäre sowohl aus Export- als auch aus Versorgungssicht eine schlechte Nachricht. Aber undenkbar ist es nicht. In die EU gehen 46% unserer Pharmaexporte. Das heisst, drei Viertel aller Exporte gehen in die USA und die EU. Die Diversifizierung mit neuen Handelsabkommen, etwa mit Indien oder dem Mercosur, ist gut und recht, doch man muss die Dimensionen im Auge behalten. Und da kommen wir nicht um die EU herum. Die Schweiz hat mit dem Pharmacluster von Firmen und Fachleuten eine interessante Ausgangslage, aber wir müssen besser werden, weil der Wettbewerb der Standorte sich massiv verstärkt hat und der Kuchen gleichzeitig kleiner wird. Wir müssen aktiv die Gefahr bekämpfen, dass das ganze Cluster wegbricht.

Die Bilateralen III schützen nicht vor einem Szenario, in dem die EU Massnahmen wie die USA ergreift.

Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem Machtpolitik dominiert. Auch die EU ist dem, historisch gesehen, nicht abgeneigt. Die Bilateralen III mit ihren Rechts- und Konsultationsmechanismen, die von den Gegnern stark kritisiert werden, bieten sicher eine bessere Ausgangslage, als wenn es nur politisch, sprich: machtpolitisch, zu- und herginge. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es aber nie.

Die Börsen haben auf den Pfizer-Deal der US-Regierung erleichtert reagiert, weil Rabatte für Selbstzahler und Medicaid das Geschäft kaum trüben. Die USA könnten das doch auf andere Versicherer ausweiten, was viel grössere Preissenkungen mit entsprechender Auswirkung auf den Gewinn bedeuten würde.

Das letzte Wort ist mit den aktuellen Deals wohl nicht gesprochen. Ihr Inhalt ist nicht öffentlich, und es ist schwierig zu sagen, wie sich die Diskussion weiterentwickelt. Entwarnung würde ich aber nicht geben.

Wie realistisch ist es, dass die Schweiz mehr für Medikamente bezahlt, wie die USA es fordern?

Das ist eine politische und extrem schwierige Angelegenheit. Dass die Krankenkassenprämien wegen höherer Medikamentenpreise um 12% steigen, wie Sie geschrieben haben, ist realistischerweise ausser Reichweite. Es ist auch nicht wünschbar, wir wollen ja nicht mehr bezahlen. Aber wir müssen, als potenzielle Patienten, dringend die Versorgung mit innovativen Medikamenten verbessern, die sich in der Schweiz schon vor Trump verschlechtert hat. Die Balance zwischen Versorgungssicherheit und Kostendämpfung ist bei den innovativen Medikamenten aus dem Gleichgewicht.

Was sollte die Schweiz denn tun?

In Bezug auf den Standort fordern wir eine ganze Reihe von Massnahmen, zum Beispiel, dass man bei der Digitalisierung vorwärtsmacht oder bei der Nutzung von Daten zu Forschungszwecken. Letzeres liegt seit zwei Jahren beim Bundesamt für Justiz, passiert ist wenig. Das Arbeitsrecht müsste flexibilisiert werden, damit die Produktionslinien während 24 Stunden an sieben Tagen laufen können. Man muss die Standortfrage aber gesamtheitlich sehen und nicht nur auf das Wirtschaftsdepartement abschieben. So müsste etwa der nötige Bürokratieabbau departementsübergreifend passieren. Wir sind auch als Standort für klinische Studien unattraktiv geworden. Die Unternehmen favorisieren Länder, in denen sie die Produkte nach der Zulassung rasch lancieren können. In der Schweiz dauert das aber immer länger.

Und bei den Medikamentenpreisen?

Das Hauptziel müsste sein, das im Krankenversicherungsgesetz vorgesehene Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit, Qualität und Kosten zu schaffen. Wir haben das Trilemma, dass wir hohe Qualität und Versorgungssicherheit zu tiefen Kosten haben wollen. Aus unserer Sicht hatten wir in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten eine Überbetonung des Kostenaspekts. Im Gesundheitswesen sind die Medikamentenpreise als einzige massiv gesunken. Es wurden mehrere Massnahmen getroffen, darunter die dreijährliche Preisüberprüfung, die allein jährlich wiederkehrend 1,5 Mrd. Fr. eingespart hat. Doch die Zitrone ist ausgepresst.

Qualität und Versorgungssicherheit sind aber gut in der Schweiz.

Die Schweizer haben heute im Vergleich zu den Patienten in Deutschland, dem führenden Land in Europa, noch zu knapp der Hälfte der neuen Medikamente gleichberechtigten Zugang. Die Schweiz ist zurückgefallen und steht nur noch wenige Prozentpunkte besser da als Bulgarien, das stark zugelegt hat. Der Anspruch der Schweiz muss aber sein, dass die Patienten rasch vom technologischen Fortschritt profitieren und die neuesten und besten Medikamente erhalten. Warum soll es nicht möglich sein, dass wir so gut wie Deutschland werden?

Laut dem Bundesamt für Gesundheit BAG liegt die Schweiz immer noch an vierter Stelle beim Medikamentenzugang.

Nach unserer Analyse steht die Schweiz nur noch an siebter Stelle. Wir berücksichtigen die Medikamente auf der Spezialitätenliste, das BAG auch solche, die dank eines komplizierten Einzelfallvergütungsartikels (sog. Artikel 71a-d der Krankenversicherungsverordnung, Anm. der Red.) abgegeben werden. Für immer mehr Medikamente wird diese Sonderregelung zum Regelfall. Sie verursacht aber grossen administrativen Aufwand, weil die Ärzte Gesuche stellen müssen, die ausserdem nicht von allen Krankenkassen gleich behandelt werden. Damit ist der Zugang nicht für alle Patienten garantiert, und die Gefahr einer Zweiklassenmedizin wächst (vgl. Textbox unten).

Was müsste sich ändern?

Wir fordern eine ganze Reihe von Verbesserungen, teilweise schon seit Jahren. So plädieren wir für eine Modernisierung des Preissetzungsmechanismus und eine beschleunigte Aufnahme in die Spezialitätenliste. Ausserdem sollten wir das deutsche Modell adaptieren, das den Medikamentenverkauf umgehend nach der Zulassung erlaubt, zu einem vom Unternehmen festgelegten Preis. Erst danach folgen die Preisverhandlungen mit den Behörden. Im Unterschied zu Deutschland schlagen wir aber vor, dass das Pharmaunternehmen die Differenz zurückerstatten soll, wenn später ein tieferer Preis ausgehandelt werden sollte. Bei solchen Themen müssen wir jetzt vorwärtsmachen, denn uns droht beim Medikamentenzugang im Zusammenhang mit dem Politikwechsel in den USA eine zusätzliche massive Verschlechterung.

Wie das?

Hinter der Meistbegünstigung versteckt sich ein Referenzpreissystem. Wenn die Schweiz eines der Referenzländer wird, wie es etwa die «Financial Times» geschrieben hat, dann befürchten wir, dass sich die Versorgungssituation weiter verschlechtert. Die Unternehmen werden kein Medikament in der kleinen Schweiz zu einem Preis lancieren, der tiefer ist als der Preis, den sie sich im Hauptmarkt Amerika erhoffen.

Also entweder die Schweiz zahlt, oder das Medikament kommt hier nicht auf den Markt?

Ich glaube, das ist eine reale Gefahr. Es ist letztlich eine politische Entscheidung, welchen Versorgungsgrad wir haben wollen und was für alle solidarisch finanziert wird. Wir haben ausgerechnet, dass jeder Schweizer für innovative Medikamente, die nun im Fokus stehen, pro Monat 37 Fr. ausgibt. 27 Fr. gehen an die Hersteller, 10 Fr. sind Vertrieb und Mehrwertsteuer. 37 Fr. sind dreimal weniger, als wir für Alkohol und Tabak ausgeben. Wir müssen uns fragen, ob uns die sichere Versorgung mit neuesten Therapien nicht mindestens 37 Fr. wert ist.

Wenn nicht?

Es gibt natürlich Länder, die eine bedeutend schlechtere Versorgungslage haben. Dann geht es einfach mehr in Richtung Zweiklassenmedizin oder privates Versicherungssystem. Aus unserer Sicht ist das die politische Frage, die im Raum steht. Fairerweise muss man sagen, dass sie schon vorher im Raum gestanden hat, aber jetzt hat sie mit Trump eine ungleich grössere Bedeutung und Beschleunigung erhalten.

Epischer Kampf mit Statistiken

In der Diskussion über die Medikamentenpreise führen die Interessenvertreter unterschiedliche Statistiken ins Feld. So sind die Kosten für Medikamente gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den letzten zehn Jahren pro Kopf stärker gewachsen als die aggregierten übrigen Leistungen des Schweizer Gesundheitswesens.

Interpharma kritisiert, das BAG verwende für diese Aussage bereits seit mehreren Jahren als Basis das Jahr 2014, das den «Tiefststand des Anteils der Medikamente an den Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» markiere (11,3%). Entsprechend erscheine das folgende Wachstum höher. Der Verband macht geltend, dass der Anteil der Medikamente an den Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung seit mehr als zehn Jahren praktisch stabil geblieben ist. Die Medikamentenkosten seien «trotz vieler innovativer Medikamente im Gesamtvergleich leicht unterdurchschnittlich» gewachsen.

Interpharma weist auch darauf hin, dass selbst gemäss den Zahlen des BAG, die leicht von denen des Bundesamts für Statistik abweichen, der Medikamentenanteil seit Beginn der Erhebung 2004 «stabil» geblieben sei. Gemäss diesen Zahlen ist der Anteil von 2004 bis 2024 von 22,6 auf 21,9% gesunken und hat in diesem Zeitraum zwischen 20,4 (2014) und 22,8% (2009) geschwankt.

Über uns

Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.

Interpharma informiert die Öffentlichkeit über die Belange, welche für die forschende Pharmaindustrie in der Schweiz von Bedeutung sind sowie über den Pharmamarkt Schweiz, das Gesundheitswesen und die biomedizinische Forschung.

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