26. Oktober 2021
Es braucht keine Ausnahmeregelungen zum TRIPS-Abkommen
Die Versorgung der weltweiten Gesundheitssysteme mit
Covid-19-Impfstoffen stellt eine äusserst grosse Herausforderung dar. Noch nie
in der Geschichte der Medizin mussten innert so kurzer Zeit Impfstoffe
erforscht, entwickelt und entsprechend grosse Produktionskapazitäten
bereitgestellt werden. Die Ursachen für Verzögerungen, Knappheiten oder einer
unausgewogenen Verteilung liegen allerdings in keiner Weise beim Schutz des
geistigen Eigentums, sondern in erster Linie an den – angesichts der gewaltigen
globalen Nachfrage – knappen Herstellungskapazitäten und der extrem kurzen
Zeit, diese Kapazitäten aufzubauen.
Der Schutz des geistigen Eigentums hat es den Unternehmen ermöglicht,
in noch nie dagewesener Form zusammenzuarbeiten und Wissen unter Forschenden zu
teilen, wie die Beispiele Biontech/Pfizer, Moderna/Lonza und Regeneron/Roche
zeigen. Weiter gilt es zu berücksichtigen, dass die heute zugelassenen
Impfstoffe auf Technologien beruhen, welche seit Jahren dank eines guten
Schutzes von geistigem Eigentum erforscht werden konnten. Gemäss einer Studie
des US-Verteidigungsministeriums kostet der Bau und Betrieb einer Anlage zur
Herstellung von Impfstoffen rund 1,5 Milliarden Dollar[1],
welche durch die Firmen in Unkenntnis der Resultate der klinischen Versuche
vorfinanziert werden müssen. Zudem benötigen der Aufbau und die Zulassung
entsprechender Anlagen erhebliche Zeit. Deshalb findet die
Covid-19-Impfstoffproduktion fast ausschliesslich in bereits bestehenden
Anlagen statt. Die Aufhebung geistiger Eigentumsrechte wird demnach keinen
Einfluss auf eine breite Herstellung und gerechte Verteilung von Impfstoffen,
Diagnostika und Medikamenten haben. Vielmehr erweist sich gerade der Schutz des
geistigen Eigentums als effiziente Grundlage für den Technologietransfer
zwischen den Firmen.
Im Laufe der Pandemie haben sich mehrere Pharmakonzerne verpflichtet,
ihre Impfstoffe auf einer nicht gewinnorientierten Basis anzubieten. Andere haben
ihre Preise für verschiedene Länder differenziert. In Südafrika[2]
und Indien[3]
beispielsweise arbeiten Pharmaunternehmen bereits mit lokalen Partnern
zusammen, um ihre Impfstoffe verfügbar zu machen. Zudem engagieren sich die
pharmazeutischen Unternehmen in Plattformen wie beispielweise ACT-A, ACTIV und
CEPI[4].
Aushöhlung des Patentschutzes hätte weitreichende Konsequenzen
Die Entwicklung eines neuen Medikaments oder Impfstoffes ist
bekanntermassen riskant, sehr aufwendig und kostspielig. Die Unternehmen und
Investoren, welche die Forschung finanzieren, schultern dabei ein hohes Risiko,
während sie nur aufgrund der Schutzrechte die Chance auf eine Belohnung haben. Investoren
sind sich des Ausfallrisikos zwar bewusst, dennoch wird erwartet, dass diese
Ausfälle, durch die in erfolgreichen Projekten generierten Gewinne kompensieren
werden können. Wenn nun im Erfolgsfall das Gewinnpotential durch die Schwächung
des Schutzes des geistigen Eigentums reduziert wird, beeinflusst dies direkt
das Risikoprofil dieser Investitionen. Konsequenterweise werden Investoren
nicht mehr in besagten Forschungsbereich investieren. Der Gewinn, der im Rahmen erfolgreicher Projekte dank der Schutzrechte
realisiert werden kann, erlaubt den Firmen somit weiter zu forschen und vor
allem auch alle nicht erfolgreichen Projekte mitzufinanzieren.
Die Kritiker der Rechte an geistigem Eigentum führen u.a. die öffentlichen
Investitionen in die Forschung als Grund an, um den Patentschutz aufzuheben.
Sie weisen darauf hin, dass die Regierungen wichtige Frühphasenforschung
finanzieren. Es gilt zu berücksichtigen, dass die Grundlagenforschung einen
verhältnismässig geringen Teil der Forschungs- und Entwicklungskosten ausmacht.
Weiter haben im konkreten Fall der Covid-19 Impfstoffe die spezifischen
Finanzierungen und Vorverträge primär dazu beigetragen, das Risiko zu
reduzieren und die Entwicklungszeiten zu beschleunigen, was der Öffentlichkeit
dann wieder direkt zugutekommt.
Eine Aufhebung des Patentschutzes, bzw. anderer Rechte des Geistigen
Eigentums, würde nicht den eigentlichen Engpass – nämlich die zeitnahe
Verfügbarkeit von Produktionskapazität – beheben. Ebenso würde dieses Ziel
nicht dadurch erreicht, Verletzungen von TRIPS Bestimmungen nicht zu verfolgen.
Impfstoffe wurden in Rekordzeit entwickelt, eben auch weil Firmen die
Rechtssicherheit und Ressourcen haben, die mit einem robusten System zum Schutz
ihres geistigen Eigentums einhergehen. Dabei ist das geistige Eigentum gerade
die Basis für den Transfer von Wissen an ausgewählte Partner, der nötig ist für
die Ausweitung der Produktionskapazitäten. Es gilt auch zu berücksichtigen,
dass die einmalige Aufhebung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen und
Knowhow, auch nach Beendigung der Pandemie nicht mehr rückgängig gemacht werden
kann. Darüber hinaus würde wichtiges Knowhow anderen Ländern ohne Gegenleistung
und Kontrolle verfügbar gemacht und somit einen deutlichen Wettbewerbsnachteil
für die Schweiz generiert. Eine Relativierung der internationalen Standards
würde lediglich Rechtsunsicherheit schaffen und hätte eine massiv
kontraproduktive Wirkung auf die Finanzierung der Erforschung von Impfstoffen,
Medikamenten und Diagnostika.
[1]
https://archive.defense.gov/pubs/ReportonBiologicalWarfareDefenseVaccineRDPrgras-July2001.pdf
[2]
https://www.astrazeneca.com/media-centre/articles/2020/astrazeneca-takes-next-steps-towards-broad-and-equitable-access-to-oxford-universitys-potential-covid-19-vaccine.html
[3]
https://www.aspenpharma.com/2020/11/02/aspen-announces-agreement-with-johnson-johnson-to-manufacture-investigational-covid-19-vaccine-candidate/
[4]
https://www.ifpma.org/resource-centre/pharma-innovation-delivers-covid-19-solutions-beyond-expectations-but-calls-for-the-dilution-of-intellectual-property-rights-are-counteproductive