26. Januar 2021
Ein starker Pharmastandort ist die beste Krisenvorsorge
Artikel in „Le Temps“ vom 26. Januar 2021
Im Jahr 2020 stellten sich der forschenden Pharmaindustrie in der
Schweiz zahlreiche besondere Herausforderungen. Angesichts der
Covid-19-Pandemie zeigten die Pharmaunternehmen ein beeindruckendes Engagement
bei der Umsetzung von drei grossen Zielen: Gewährleistung der
Medikamentenversorgung und Patientensicherheit, Mobilisation der Kapazitäten in
der Impfstoffforschung, Diagnostik und Behandlung sowie Unterstützung der
Regierungen und Gesundheitssysteme an der Front. Die Krise hat deutlich
gezeigt, wie solide unsere Industrie ist. Trotz der aussergewöhnlichen und
schwierigen Lage gelang es der Pharmaindustrie, die Versorgung mit patentierten
Arzneimitteln sicherzustellen, ohne die Innovationsfähigkeit des Pharmasektors
einzuschränken. Diese Widerstandsfähigkeit des Pharmastandorts Schweiz ist ein
starker Pfeiler des Wohlstands unseres Landes. Das Jahr 2021 stellt die
Industrie vor die Aufgabe, ihren Kampf gegen die Pandemie fortzuführen.
Zugleich aber muss sie sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen für ihre
Tätigkeit erhalten bleiben. Denn ein starker Pharmastandort ist die beste
Krisenvorsorge.
Die aktuelle Gesundheitskrise verdeutlicht einmal mehr, welche
strategischen Herausforderungen mit dem Pharmastandort verknüpft sind. Die
Schweiz kann stolz darauf sein, dass ihre Pharmaindustrie zur Weltspitze
gehört: Direkt beschäftigte sie 2020 rund 47’000 Personen, indirekt kamen im
letzten Jahr weitere 206’800 Arbeitsplätze dazu. Rund 45% der Schweizer Exporte
stammen aus der Pharmaindustrie; ihre Exporttätigkeit generiert 99,1 Milliarden
Franken. Die Pharmaunternehmen investieren laufend in die Forschung und
Entwicklung: Allein die Mitglieder von Interpharma bringen zu diesem Zweck rund
7 Milliarden Franken pro Jahr auf. Ferner investieren die Unternehmen in den
Industriestandort Schweiz und seine Betriebe, um hochmoderne zukunftsfähige
Behandlungen zu ermöglichen. Um ihre Spitzenstellung zu halten, muss die
Schweizer Pharmaindustrie im Jahr 2021 drei Herausforderungen angehen: Stabile
Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind zu gewährleisten, Schweizer
Patientinnen und Patienten müssen auf den raschen Zugang zu innovativen
Behandlungen zählen können und das geistige Eigentum muss geschützt werden.
Die Pandemie hat auch gezeigt, dass die Pharmaindustrie auf offene
Grenzen und einen funktionierenden Personen- und Warenverkehr angewiesen ist.
Um die Produktion aufrechtzuerhalten, müssen Grenzgänger und Grenzgängerinnen
tagtäglich frei zwischen der Schweiz und ihren Nachbarländern verkehren können.
Ungehinderte grenzüberschreitende Lieferungen von Ausgangsstoffen und
Halbfertigprodukten sind ebenfalls unerlässlich. Wenn die Rahmenbedingungen für
eine reibungslose Exporttätigkeit gegeben sind, können die Pharmaunternehmen
die Produktion in der Schweiz langfristig aufrechterhalten. Der Zugang zum
Europäischen Binnenmarkt ist für die Pharmaindustrie von wesentlicher
Bedeutung. Derzeit sind unsere Rahmenbedingungen günstig, was aber zählt, ist
die zukunftsfähige Gestaltung der bilateralen Beziehungen, d. h. der
Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens zwischen der Schweiz und der
Europäischen Union. Derzeit steht unser Sektor – anders als die Medizintechnik
– nicht unmittelbar unter Druck. Dennoch wirkt sich jeder Versuch, die
Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als Kompetenzzentrum für Biowissenschaften zu
beeinträchtigen, auf sämtliche in diesem Bereich tätigen Unternehmen und
Personen aus. In der Schweiz besteht ein eigentliches Life-Sciences-Ökosystem:
Es umfasst Forschungsinstitute und Hochschulen genauso wie Start-ups und
etablierte Laboratorien. Die Innovationskraft und die Synergien zwischen den
verschiedenen Akteuren tragen zur gesunden Verfassung unserer Wirtschaft bei.
Auch in anderer Hinsicht besteht Anlass zur Besorgnis: In der Schweiz
ist nicht immer gewährleistet, dass die Patientinnen und Patienten Zugang zu
innovativen Behandlungen erhalten. Grund für diesen erschreckenden Sachverhalt
ist die immer längere Wartefrist zwischen der Zulassung von Behandlungen durch
Swissmedic und ihrer Aufnahme in die Spezialitätenliste(SL) des Bundesamtes für
Gesundheit. Im Jahr 2020 haben insgesamt 169 Anträge von zugelassenen
Medikamenten nicht zu einer Aufnahme in die SL geführt. 2020 wurden nur 4 von 38
Produkte innert 60 Tagen in die Spezialitätenliste aufgenommen (11%), wie es in
der Verordnung vorgesehen ist.
66% aller SL-Aufnahmen im 2020 erfolgten nach mehr als 120 Tagen (25 von 38). Hätte es sich bei ihnen um Impfstoffe zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie gehandelt, wäre eine solche Wartezeit unvorstellbar. Interpharma wird ihr grosses Engagement in diesem Bereich auch 2021 fortsetzen. Der Zugang zu von Swissmedic zugelassenen Behandlungen sollte für alle versicherten Personen ab dem Tag der Zulassung gewährleistet sein. Es gilt, die enge, kostenzentrierte Auffassung der Gesundheitspolitik zu überwinden und den Patientinnen und Patienten raschen Zugang zu innovativen Behandlungen und Therapien zu verschaffen.
Ein Forschungs- und Entwicklungsstandort steht nur dann auf einem soliden Fundament, wenn der Schutz des geistigen Eigentums gegeben ist. Anders als es landläufig oft zu hören ist, hat sich diese Fragestellung nicht negativ auf die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ausgewirkt. Im Gegenteil: Gerade die entsprechenden Sicherheiten haben es den Unternehmen ermöglicht, die Forschung und Entwicklung durch umfangreiche Investitionen zu betreiben und zu beschleunigen. Die Schweiz verfügt über eine forschungsfreundliche Regelung des geistigen Eigentums; diese gilt es zu bewahren.