Blogserie Gesundheitskosten, Teil 2: Das eigentliche Problem ist die Regulierungs-Explosion - Interpharma

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3. Februar 2023

Blogserie Gesundheitskosten, Teil 2: Das eigentliche Problem ist die Regulierungs-Explosion

Das Bild einer «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen ist falsch. Der echte Zündstoff für das Gesundheitswesen liegt in der Regulierungsdichte. Für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen braucht es daher keine weitere Detailregulierung, sondern eine Makrosteuerung über die Etablierung eines Qualitätswettbewerbs, in dessen Rahmen die Faktoren Patientennutzen sowie Innovation stärker honoriert werden.

Im ersten Teil unseres Blogs haben wir festgestellt: In der Schweiz und in weiteren OECD-Staaten hat sich das Wachstum der Gesundheitsausgaben stark verlangsamt. Seit 15 Jahren flacht die Kurve nachweislich ab. Die zusätzlichen finanziellen Mittel, die in den vergangenen Jahren in das Gesundheitswesen geflossen sind, haben unter anderem dazu geführt, dass die Lebenserwartung bei der Geburt für Männer von 2000 bis 2019 (dem letzten Jahr vor der Pandemie) um fünf Jahre auf 82 Jahre zugenommen hat, bei den Frauen betrug der Anstieg drei auf 85,6 Jahre. Von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen kann entsprechend keine Rede sein. Eine Explosion stellt man hingegen bei den Regulierungen und den staatlichen Interventionen im Gesundheitswesen fest oder anders formuliert: Das Gesundheitswesen wird im wortwörtlich «krankreguliert».

Verfünffachung der Gesundheits-Vorstösse im Parlament

Seit 2000 sind 44 neue KVG-Revisionen in Kraft gesetzt worden. Und trotz der Auslagerung der Aufsichtsbestimmungen aus dem KVG hat sich die Seitenanzahl des KVG seit 2000 von 40 auf 100 Seiten mehr als verdoppelt. Das Gleiche gilt für die Verordnungstexte von KLV und KVV. Hier stellen wir beinahe eine Verdoppelung von 122 auf 196 Seiten fest. Auch das Parlament war nicht untätig: Die Anzahl der Geschäfte im Parlament im Gesundheitsbereich hat sich gar verfünffacht! Und wie wir wissen, ist Quantität längst nicht gleichbedeutend mit Qualität. Wir stellen also eine wahre Explosion der Regulierungsdichte fest. Diese sollte stärker thematisiert werden, weil eine überbordende Mikro-Regulierung einerseits hohe finanzielle Kosten verursacht und andererseits enorme zeitliche Ressourcen bei sämtlichen Akteuren des Gesundheitswesens in Anspruch nimmt, die nicht zum Wohl des Patienten eingesetzt werden können.

Dies gesagt, ist der Reformbedarf im Gesundheitswesen trotz dieses Regulierungsschubs weiterhin unbestritten. Denken wir an nur die Herausforderungen der Demographie, die Knappheit der Ressourcen sowie den grossen Nachholbedarf bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Makrosteuerung statt Mikroregulierung

Ich bin überzeugt: Mikroregulierungen verbunden mit einer einseitigen Kostenfokussierung sind der falsche Ansatz, um den Herausforderungen der Zukunft im Gesundheitswesen zu begegnen. Vielmehr gilt es, das Gesundheitswesen ganzheitlich in Richtung «value-based Healthcare» auszurichten, d.h. den Fokus auf die kontinuierliche Steigerung des Nutzens beim Patienten im Verhältnis zu den Kosten zu legen. Hierfür braucht es keine weitere Detailregulierung, sondern eine Makrosteuerung über die Etablierung eines Qualitätswettbewerbs, in dessen Rahmen Nutzen und Innovation stärker honoriert werden. Dabei ist eine ganzheitliche Sichtweise über den gesamten «Werdegang» eines Patienten einzunehmen. Verlässliche Gesundheitsdaten sind für die datengestützte Steuerung eines solchen makrogesteuerten Systems unerlässlich. Auch hier erweist sich der grosse Nachholbedarf des Schweizer Gesundheitswesens im Bereich der Digitalisierung als schwere Hypothek.

Ansätze für eine erfolgreiche Implementierung sind vorhanden: Bereits 2008 hat Prof. Teisberg in einer Studie die Wege zur Realisierbarkeit von value-based Healthcare in der Schweiz aufgezeigt.[1] Und eine jüngst publizierte PWC-Studie[2] hat sechs Ansatzpunkte für die Umsetzung von value-based Healthcare identifiziert:

  1. Aufbau integrierter und interdisziplinärer Einheiten
  2. Messung der Ergebnisse und Kosten für alle Patienten
  3. Übergang zu pauschalen Zahlungen für den Behandlungszyklus
  4. Aufbau integrierter Versorgungssysteme
  5. Exzellente Gesundheitsversorgung im ganzen Land
  6. Aufbau einer grundlegenden ICT-Plattform

Das Wissen wäre also durchaus vorhanden. Noch fehlt es am politischen Willen, die strukturellen Probleme im Gesundheitswesen grundsätzlich anzugehen. Dieses Bewusstsein muss sich durchsetzen, damit wir dem Ideal eines zukunftsträchtigen, leistungsfähigen und nachhaltigen Gesundheitswesens wieder näherkommen. Interpharma ist bereit sich auch in Zukunft aktiv an einem solchen Dialog zu engagieren – zum Wohl der Patientinnen und Patienten in der Schweiz.


[1] Olmsted Teisberg, Elizabeth (2008): Nutzenorientierter Wettbewerb im schweizerischen Gesundheitswesen: Möglichkeiten und Chancen.

[2] PWC (2022): Zielbild für ein nutzenorientiertes Gesundheitswesen in der Schweiz.

Dr. René P. Buholzer

Geschäftsführer

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