Serie Gesundheitsdaten 1/2: Digitale Gesundheitsdaten: Wie die Schweiz den Anschluss schaffen kann
Die digitale Transformation hält im Schweizer Gesundheitswesen nur sehr langsam und zögerlich Einzug. Immer noch fehlt es an grundlegenden Online-Dienstleistungen, welche Behandlungen kostengünstiger und kundenfreundlicher gestalten. Ohne ein Gesundheitsdaten-Ökosystem mit personenbezogenen Daten läuft die Schweiz Gefahr, den internationalen Anschluss im Gesundheitswesen und der entsprechenden Forschung zu verlieren.
Seit
Jahren sind wir uns gewöhnt, dass die verschiedensten Branchen durch digitale
Innovationen das gesamte System verbessern. Wir können von überall aus auf
unsere Finanzdaten zugreifen, uns Kleider mit einem Klick nach Hause liefern
lassen oder Kinokarten auf unser Handy laden.
Im
Bereich der Gesundheit hinken wir dem digitalen Trend jedoch massiv hinterher. Für
Konsumenten beginnt dies schon bei ganz simplen Dingen wie beispielsweise der
Online-Reservation eines Arzttermins. Bei der Erfassung und Verarbeitung
personenbezogener Daten sieht es nicht viel besser aus. Im internationalen
Vergleich liegt die Schweiz in der Digitalisierung im Gesundheitswesen im
hinteren Mittelfeld.
Es geht nicht nur um Convenience: Digitale Gesundheitsdaten machen Behandlungen
effizienter, patientenzentrierter und kostengünstiger – und sind nicht zuletzt
aus der Forschung nicht mehr wegzudenken. Ein Gesundheitsdaten-Ökosystem, das grosse
digitale Datenmengen, Big Data, verwalten kann ist also bereits lange
überfällig.
Digitale Daten über Patienten steigern Qualität und senken Kosten
Gesundheitsdaten
beinhalten alle Daten rund um den Gesundheitszustand einer Person. Dies können
beispielsweise Stammdaten (Alter, Name, Adresse etc.), Daten zur Krankengeschichte
oder gesundheitsbezogene Informationen (Blutzuckerwert, Körperfett etc.) sein.
Heute werden diese Daten in der Schweiz häufig noch ausschliesslich in
physischen Patientenakten aufgeführt.
Die
Vorteile von digitalen Informationen über die Gesundheit einzelner Personen
sind unbestritten. Gerade im jüngsten Beispiel, der Coronakrise, wären diese Daten
in digitaler Form besonders nützlich gewesen: Ärzte hätten sich bei betroffenen
Personen, die aufgrund des Virus in die Spitäler eingeliefert wurden, schneller
ein Bild über Vorerkrankungen, Allergien und eingenommene Medikamente machen
können. Dies hätte wiederum die Behandlung deutlich effizienter gestaltet.
Selbst Bundesrat Berset räumte während einer Corona-Medienkonferenz ein, dass
das elektronische Patientendossier (EPD) zur optimalen Behandlung der Patienten
hilfreich gewesen wäre.
Auch
für die Apotheken bietet die digitale Verarbeitung von personenbezogenen Daten
grosse Vorteile: Mit dem EPD sehen die Verantwortlichen in der Apotheke
sofort, wenn ein Kunde Medikamente kaufen möchte, die sich mit einem seiner
anderen Arzneimittel nicht kombinieren lassen.
Weiter
können mit einem einheitlichen elektronischen Patientendossier teure
Doppelspurigkeiten vermieden und schlussendlich Kosten gespart werden. Denn
alle behandelnden Ärzte haben Zugriff auf beispielsweise frühere
Röntgenaufnahmen oder Resultate von Blutproben. Dadurch wird enorm Zeit
gewonnen und Patienten sparen sich die Kosten für erneute Untersuchungen,
welche bereits existieren.
Grösste Befürchtung: Kontrollverlust über personenbezogene Daten
Gesundheitsdaten
gehören aus gutem Grund zu unseren sensibelsten Daten. Missbräuchlich verwendet,
können sie zu grossen Diskriminierungen führen: Banken könnten patientenbezogene
Daten zur Bewertung von Bonität nützen, um über eine Kreditvergabe zu
entscheiden. Krankenkassen wiederum dienten die Daten etwa zur Kalkulation von
Risikopatienten. Folglich hätten sie dank der Einsicht in diese streng
vertraulichen Daten die Grundlage, um Personen von Zusatzversicherungen auszuschliessen.
Viele
befürchten, dass sie beispielsweise mit einem EPD die Kontrolle über ihre
personenbezogenen Daten verlieren. Dass die Auswertung von
Gesundheitsdaten durch die Behörden jedoch förderlich sein kann, um
beispielsweise auf den massiven Ausbruch einer Infektionskrankheit zu
reagieren, zeigt das jüngste Beispiel der Contact Tracing-App in der
Covid-19-Pandemie.
In
Dänemark ist man seit einigen Jahren sehr zufrieden mit dem gesetzlichen
Beschluss zur digitalen Speicherung aller Krankheitsdaten. Obwohl auch dort der
Schutz von Daten ein grosses Thema war, will heute in Dänemark kaum mehr jemand
von der digitalen Verarbeitung zur physischen Dokumentation zurückkehren. Denn
trotz aller möglichen Risiken, seien die Vorteile so gewaltig, dass diese stets
überwiegen, meint Morten Elbäk Petersen, CEO des öffentlichen
Gesundheitsportals. Damit ist Dänemark eines von vielen Ländern, welche
positive Erfahrungen mit einem elektronischen Patientendossier machen.
Globalisierte Gesundheitsdaten als Erfolgsfaktor
Die
Digitalisierung im Gesundheitswesen wird auch die Entwicklung und Anwendung von
Arzneimitteln revolutionieren. Zum einen werden viel mehr Daten zur Verfügung
stehen, die Forschende für ihre Analysen nützen können. Zum anderen helfen
technische Errungenschaften wie künstliche Intelligenz dabei, die Datenanalyse
zu optimieren.
Weiter
wird die sogenannte Real World Evidence (RWE) in der Forschung immer wichtiger.
Real World Evidence (RWE) sind Beweise, welche aus Real World Data (RWD) gewonnen
werden. Der Begriff «Real World» meint in der Medizin, dass Beobachtungsdaten
genommen werden, die nicht aus geplanten klinischen Studien stammen, sondern unter
realen Alltagsbedingungen erhoben wurden. Denn in der Schweiz, mit ihrer
verhältnismässig geringen Einwohnerzahl, ist die Verfügbarkeit passender
Testgruppen für klinische Studien ein grosse Herausforderung. Als Alternative
können deshalb Daten von Patienten verwendet werden, die bereits in digitalen
Datenbanken existieren. Dank RWD könnten Schweizer Forschende auf Daten aus der
ganzen Welt zugreifen und mit ihrer Hilfe Beweise herbeiführen, welche sich auf
hunderte von Daten stützen. Solche Beweise werden entsprechend Real World
Evidence genannt.
Die
Basis für eine erfolgreiche Forschung sind immer öfter hochwertige und einfach zugängliche
Gesundheitsdaten. Deshalb ist es essenziell, einen weltweiten Zugang zu solchen
Daten zu ermöglichen.
Die Schweiz braucht ein Gesundheitsdaten-Ökosystem
Eine
derartige Gesundheitsdatenbank bereitzustellen ist jedoch deutlich
komplizierter als es scheint. Denn das zugrundeliegende Gesundheitsdaten-Ökosystem
ist hochkomplex: Die Daten werden an verschiedensten Stellen gesammelt und
müssen einer grossen Menge von Akteuren zugänglich sein. Sie müssen also von
allen Erfassern (Ärzten, , Gesundheitsfachpersonen, Forschern und Studienleitern)
in gleicher Qualität eingetragen werden und möglichst allen Ansprüchen der
Stakeholder gerecht werden. Schliesslich bringen sich noch eine Reihe von
anderen Stakeholdern, wie Patientenvertretern oder Regulatoren und Behörden ein,
die ebenfalls einen berechtigten Anspruch auf Mitsprache haben.
Alle
diese Akteure müssen für ein funktionierendes Gesundheitsdaten-Ökosystem am
gleichen Strang ziehen. Dazu benötigt es grossen Koordinationsaufwand hinsichtlich
Themen wie Data-Sharing, Schutz vor Missbrauch und Qualitätsrichtlinien, denn alle
Interessengruppen möchten ihre Anliegen miteinbringen.
Will die Schweiz im Gesundheitsbereich und in der Forschung weiterhin einen Spitzenplatz einnehmen, muss die Politik jetzt optimale gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, um ein solches Gesundheitsdaten-Ökosystem aufzubauen. Denn die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet voran, Daten werden wichtiger und zwischen den zahlreichen verschiedenen Stakeholdern besteht ein grosser Diskussions- und Austauschbedarf. Die Forschung braucht einerseits den ungehinderten Austausch von schweizerischen und ausländischen Daten, andererseits gilt es, stets einen ausreichenden und gegenseitigen Datenschutz sicherzustellen.. Schliesslich können medizinische Behandlungen dank dem technologischen Fortschritt im Gesundheitswesen deutlich effizienter und patientenzentrierter werden, was allen beteiligten Stakeholdern aber insbesondere den Patienten zugutekommt.
Meistgelesene Artikel
3. Juli 2025
Medienmitteilung: Forschende Industrien nehmen Abschluss des Freihandelsabkommens mit Mercosur zur Kenntnis
Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.
Interpharma informiert die Öffentlichkeit über die Belange, welche für die forschende Pharmaindustrie in der Schweiz von Bedeutung sind sowie über den Pharmamarkt Schweiz, das Gesundheitswesen und die biomedizinische Forschung.
Jahresbericht
Informationen zu unseren Kennzahlen und Aktivitäten im Geschäftsjahr 2024