Vor
dem Start eines pharmazeutischen Forschungsprojekts stehen viele Fragen: Bei
welchen Krankheiten besteht dringender Bedarf für neue Medikamente? Gibt es
neue Erkenntnisse über die Ursachen einer Krankheit? Können die Nebenwirkungen
vorhandener Medikamente verringert werden?
Fallen die Antworten auf die meisten dieser Fragen positiv aus, beginnt ein
langer und risikoreicher Prozess zur Entwicklung eines neuen Medikaments, der
mit der Identifikation eines sogenannten Targets beginnt. Dies ist ein
Angriffspunkt im Körper, welcher den Krankheitsprozess massgeblich beeinflusst
oder auslöst. Mit dem neuen Medikament soll dieser Angriffspunkt durch die
Behandlung so beeinflusst werden, dass die Krankheit abklingt oder gelindert
wird. Diese Angriffspunkte sind meist Enzyme oder Rezeptoren.
Schlüssel-Schloss-Prinzip
Ist ein geeignetes Target gefunden, folgt im nächsten Schritt die Suche nach einer passenden Wirksubstanz. In maschinell durchgeführten Massentests (dem sogenannten High Throughput Screening) wird das «Target» mit bis zu 200.000 verschiedenen Substanzen pro Tag zusammengebracht und auf eine Wechselwirkung getestet. Diese Wechselwirkung findet statt, wenn der eingesetzte Wirkstoff das Target entweder hemmt oder aktiviert.
Dies geschieht nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Der zu beeinflussende Angriffspunkt ist dabei das Schloss, zu welchem von unzähligen Schlüsseln, die in diesem Vergleich die Substanzen bzw. Wirkstoffe sind, letztlich nur wenige passen.
Substanzen, bei denen eine Reaktion mit dem Target stattfindet, werden Hits genannt. Diese werden im Anschluss weiter auf ihre Wirkstärke hin untersucht. Im Durchschnitt werden von ursprünglich 5’000 bis 10’000 untersuchten Hits nur 20 weiterverfolgt.
Vom Hit zum Wirkstoff
Da die
Hits, also die Substanzen, die mit dem Angriffspunkt reagiert haben, sich in
ihrer ursprünglichen Form noch nicht zum eigentlichen Wirkstoff eignen, werden
sie chemisch so verändert, dass sie die Voraussetzungen für einen neuen
Medikamentenwirkstoff erfüllen können. Bildlich gesprochen könnte man sagen,
dass der Schlüssel zuvor in das Schloss passte, sich aber nur sehr mühsam
drehen liess, die gewünschte Wirkung also entweder gar nicht oder in zu
geringem Mass eintrat. Der Schlüssel wird nun also so verändert, bis das
Schloss ohne Probleme geöffnet werden kann.
Damit ein Wirkstoff als richtiger Schlüssel funktioniert, muss er verschiedene
Anforderungen erfüllen. Hierzu zählt beispielsweise, dass der Wirkstoff ausser
dem eigentlichen Target möglichst keine anderen Angriffspunkte im Körper
beeinflusst. Diese Entwicklung kann mehrere Jahre dauern, in denen die Forscher
einzelne Teile der Wirksubstanz entfernen oder hinzufügen, um die Eigenschaften
des Stoffs immer weiter zu optimieren. Jede Veränderung wird im Anschluss
getestet. Ist die Substanz einige Jahre und mehrere hundert Veränderungen
später zufriedenstellend, wird ein Patent auf sie angemeldet. Dies garantiert
dem Pharmaunternehmen, dass kein anderes Unternehmen diesen neuen Wirkstoff zur
Herstellung von Medikamenten nutzen kann. Mit der Anmeldung beginnt bereits die
Patentschutzdauer von 20 Jahren zu laufen, lange bevor überhaupt klar ist, ob
der Wirkstoff jemals als Medikament auf den Markt kommen wird.