von Dr. René Buholzer, CEO & Delegierter des Vorstandes Interpharma
In der Blogserie erfahren Sie, was die forschende Pharmaindustrie der Schweiz aus dem vergangenen Jahr mitnimmt – und vor allem, was 2023 und darüber hinaus passieren muss, damit der Pharmastandort Schweiz weiterhin führend bleibt und die Patientinnen und Patienten Zugang zu medizinischen Innovationen haben. In Teil 3 erklärt Interpharma-Geschäftsführer Dr. René Buholzer, warum der Patientenzugang zu Medikamenten in der Schweiz akut gefährdet ist – und was dagegen zu tun ist.
Wenn wir ein Gesundheitswesen wollen, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt, müssen wir zunächst fragen, was die Bevölkerung denn vom Gesundheitswesen wünscht und erwartet.
Im Interpharma-Gesundheitsmonitor von gfs.bern erhalten wir Aufschluss darüber, was die Bedürfnisse der Stimmbevölkerung sind: Rund 90% der Befragten wünschen den Zugang zu Medikamenten direkt nach der Marktzulassung. Für ebenfalls 90% ist die Qualität der Leistungen in der Tendenz wichtiger als die Kosten im Gesundheitswesen. Nur gerade 9% der Befragten würden Kostenüberlegungen über den vollen Zugang zu Medikamenten stellen. Wir sehen aber auch, dass die Bevölkerung bei der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen einen Handlungsbedarf ortet – allerdings werden Rationierungen oder Zugangsbeschränkungen eindeutig abgelehnt.
Wenn wir also ein Gesundheitswesen wollen, das die Patienten und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, müssen zwingend folgende drei Kriterien erfüllt sein:
Ganz neu ist das nicht, denn bereits der Gesetzgeber hat das Bedürfnis der Bevölkerung richtig geortet und festgeschrieben. Er tat dies in Artikel 43 des Krankenversicherungsgesetzes. Dieser Artikel schreibt vor, dass die Vertragspartner und die zuständigen Behörden darauf zu achten haben, dass eine qualitativ hochstehende und zweckmässige Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird. Der Gesetzgeber möchte bewusst ein Gleichgewicht halten zwischen diesen drei gleichwertigen Zielen im Gesundheitswesen.
Ein optimal austariertes Gesundheitswesen hält demnach die Balance zwischen Zugang bzw. Verfügbarkeit zur Gesundheitsversorgung, der Qualität bzw. Zweckmässigkeit der erbrachten Leistungen sowie den dadurch entstehenden Kosten bzw. der Wirtschaftlichkeit. Diese Interpretation wird von einem Rechtsgutachten bestätigt.
Ich fasse das so zusammen: Der «Soll-Zustand» im Gesundheitswesen ist ein angemessenes Kosten-/Nutzen-Verhältnis. So viel zur Theorie.
In der Realität gewinnen wir leider den Eindruck, dass das BAG seine Spielräume zur einseitigen Betonung des Kostenziels nutzt. Dazu zwei Beispiele.
Beispiel 1: Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV)
Im Vordergrund steht für das BAG nicht ein angemessenes Kosten/Nutzenverhältnis, sondern eine „Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand». Mit der Einführung dieses Billigstprinzips will der Bundesrat das Kostenziel über die im KVG verankerten, gleichwertigen Ziele der qualitativ hochstehenden und zweckmässigen Versorgung stellen.
Wie geschieht dies technisch? Mit dem Vorschlag der Revision würde das BAG den Freipass erhalten, neue innovative Arzneimittel mit technologisch veralteten und entsprechend billigeren Präparaten zu vergleichen, ohne die Qualität zu berücksichtigen. In der Umsetzungspraxis entzündet sich der Streit am Therapeutischen Quervergleich: Hier werden zur Preisermittlung eines neuen, innovativen Medikaments zunächst die Behandlungskosten bereits zugelassener Arzneimittel für die Behandlung derselben Krankheit herangezogen. Je nachdem, welche Vergleichspräparate Sie nun für diesen Therapeutischen Quervergleich heranziehen, kommen sie zu ganz unterschiedlichen Preisniveaus.
So wird etwa eine neue Krebstherapie mit alten Chemotherapien verglichen, welche in der Schweiz nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefällen im entsprechenden Therapiegebiet angewendet werden. Oder es werden ausschliesslich die billigsten Präparate auf dem Markt für den Vergleich herangezogen, ohne genau hinzuschauen, welchen Unterschied es bei Qualität und Nutzen für die Patienten gibt.
Der Vorschlag führt so letztlich zu einem Billigstprinzip – Vorzug erhält nicht das best geeignete, sondern das billigste Produkt. Diese Praxis entzieht sich aber weitgehend der juristischen Überprüfung, da den Gerichten die medizinisch-technische Fachexpertise fehlt und dies dem Ermessenspielraum des BAG überlassen.
Für die Firmen bedeutet dies grosse Planungsunsicherheit, da sie nicht mehr abschätzen können, welche Vergleichsgruppe das BAG zur Bewertung einer neuen Therapie heranziehen wird – und wo somit in etwa der Preis zu liegen kommen wird. Und wenn Sie als Firma nicht mehr sicher sein können, ob Sie für ihre neue Therapie, in die Sie viele Jahre und Milliardenbeträge investiert haben, überhaupt einen angemessenen Preis erwarten können, werden Sie sich zweimal überlegen müssen, ob und wann Sie das Medikament in den kleinen Schweizer Markt einführen.
Damit wird der Schweizer Markt weniger attraktiv, wenn es darum geht, eine neue Therapie möglichst schnell in der Schweiz einzuführen. Am Ende des Tages bedeutet das, dass der schon heute stark verzögerte Patientenzugang noch weiter verzögert wird – worunter vor allem die Patientinnen und Patienten leiden.
Beispiel 2: Kostendämpfungspaket 2
Ein ähnliches Muster sehen wir beim Kostendämpfungspaket 2 (KP2): Kosteneinsparungen sollen durchgeboxt werden, selbst wenn darunter die Versorgung und die Qualität der Behandlung leiden. Auch hier wird das Gleichgewicht zwischen Qualität, Versorgung und anfallenden Kosten zugunsten des Kostenprimats verletzt.
Im KP2 treffen wir erneut auf das Billigstprinzip, das nun auf Verordnungsebene und somit am Parlament vorbei eingeführt werden soll. Nachdem die Einführung des Kostengünstigkeitsprinzips auf Gesetzesstufe in der Vernehmlassung stark kritisiert wurde, möchte der Bundesrat nun auf eine Definition entsprechender Grundsätze im Gesetz verzichten und argumentiert neu, die gesetzlichen Grundlagen seien bereits vorhanden. Es genüge, die Grundsätze auf Verordnungsstufe weiterzuentwickeln.
Nach Ansicht von Interpharma ist im Gesetz jedoch keine Grundlage für eine solche Änderung auf Verordnungsstufe gegeben, da in Art. 43 Abs. 6 KVG Qualität, Versorgung und Kosten gleichwertig genannt werden. Entsprechend lehnen wir dieses Element im KP2 klar ab.
Ein zweites Element ist die differenzierte WZW-Überprüfung (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit). Hier geht es darum, die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit (also die 3-Jahresüberprüfung) je nach Kategorie, Zeitpunkt im Lebenszyklus des Produkts oder nach Preis anders auszugestalten. Kostengünstige Arzneimittel sollen seltener oder gar nicht mehr überprüft werden. Damit fällt der Fokus der Preisüberprüfung stärker auf innovative Produkte, wodurch der Preisdruck auf die Originalprodukte steigt.
Die Pharmaindustrie unterstützt das Anliegen einer Differenzierung im Grundsatz. Allerdings ist vorgeschlagene Formulierung sehr weitreichend und schafft Rechtsunsicherheit. Denn wie die Wirtschaftlichkeitsprüfung genau erfolgen wird, ist eine Black Box. Der erläuternde Bericht wirft mehr Fragen auf, als er klärt.
Wenn wir die zahlreichen Überschreitungen des gesetzlichen Rahmens anschauen, die ein Rechtsgutachten in der laufenden KVV-Revision ortet, ist ein solch grosser Handlungsspielraum des BAG nicht akzeptabel. Die so entstehende Rechtunsicherheit und fehlende Planbarkeit sind Gift für die Hersteller und die Versorgungssicherheit. Wir fordern deshalb, dass der Gesetzgeber hier mehr Klarheit schafft, damit wir diesen Punkt unterstützen können.
Ein drittes Element im KP2 ist die rechtliche Verankerung von semi-vertraulichen Preismodellen. Preismodelle können in komplexen Situationen zwischen den beteiligten Akteuren entsprechende Rückzahlungsbedingungen und andere Modalitäten vorausschauend regeln, ohne dass die Patientinnen und Patienten unnötig lange auf dringende Behandlungen warten müssen.
Gemäss dem BAG würden solche Vergütungsmodelle nur eingesetzt, wenn die Rückerstattungen mehr als 25% des Preises betragen. Das BAG sieht also auch dieses Instrument primär als Mittel zur Kostensenkung.
Und in der Tat bedeuten solche Preismodelle für die Industrie einschneidende Umsatzeinbussen. Interpharma unterstützt aber die rechtliche Verankerung solcher Preismodelle unter der Bedingung, dass damit gleichzeitig der schnelle und rechtsgleiche Patientenzugang einhergeht. Deshalb sind wir der Meinung, dass das Prinzip der Vergütung ab Tag 0 nach der Swissmedic Zulassung in einem KVG-Artikel verankert werden soll, etwa gemäss unserem Vorschlag des rückvergüteten Innovationszugangs.
Wir als Branche sind also durchaus auch in Zukunft bereit, relevante kostendämpfende Massnahmen mitzutragen, aber eben nicht auf Kosten der Versorgung von Patientinnen und Patienten!
Es ist nicht Zufall, dass der Anteil der Medikamente an den Gesundheitskosten ist seit einem Jahrzehnt stabil im Bereich von 12 Prozent liegt:
Wie die Grafik zeigt, ist der Preisindex bei den Medikamenten als einziger im Gesundheitswesen seit der Einführung des KVG gesunken. Und dass, obwohl bekanntlich viele neue innovative Medikamente auf den Markt gebracht wurden während dieser Zeit. Man denke an die Fortschritte in der Onkologie, wo die Krebssterblichkeit seit 2010 signifikant zurückgegangen ist.
Die Industrie erbringt erstens mit den 3-jährlichen Preisüberprüfungen jährlich wiederkehrende Einsparungen im Umfang von mehr als 1 Mrd. Franken, notabene als einzige Akteurin im Gesundheitswesen. Zweitens sinken die Preise nach Patentablauf nochmals deutlich. Zudem unterstützen wir die Anpassung von Vertriebsmargen bei Medikamenten, um Fehlanreize zu beseitigen. Das sind nur drei Beispiele, wie wir zur Kostendämpfung aktiv beitragen.
Preise und Kosten dürfen und sollen aber nicht unser alleiniger Fokus sein! Denn die Verfügbarkeit und der Zugang zu Arzneimitteln sowie die Qualität der Gesundheitsleistungen sind absolut zentral für ein starkes Gesundheitswesen.
Fazit: Qualität und Versorgung müssen gewährleistet bleiben
Wir bekennen uns zu einem nachhaltig finanzierten Gesundheitswesen und haben in der Vergangenheit den Tatbeweis erbracht, dass dies nicht nur leere Worte sind. So sind in den letzten 10 Jahren die Kosten der Medikamente weniger stark gewachsen als das gesamte Gesundheitswesen (2.4% vs. 2.9%). Wir sind bereit auch in Zukunft weiterhin unsere Verantwortung zu übernehmen.
Der Kostenröhrenblick darf aber nicht dazu führen, dass die Versorgung mit neuen und alten Medikamenten gefährdet wird. Und hier gibt es in der Schweiz akuten Handlungsbedarf. Nur mit einem attraktiven Schweizer Markt kommen wir dem gemeinsamen Ziel eines sicheren und schnellen Patientenzugangs näher.
Wir fordern deshalb, dass alle Patientinnen und Patienten ab dem Tag der Marktzulassung durch Swissmedic den Zugang zu medizinischen Durchbrüchen erhalten. Wir wollen im Interesse sowohl der Patientinnen und Patienten als auch der Attraktivität des Schweizer Marktes sicherstellen, dass die politischen Diskussionen im Rahmen der Kostendämpfung sowie der Revision von KVV nicht dazu führen, dass die Versorgung mit innovativen, qualitativ hochstehenden Medikamenten aus Kostenspargründen gefährdet wird.
Stattdessen unterstützen wir die einheitliche Finanzierung EFAS und die Einführung von Value-based Healthcare, also einem Gesundheitswesen, welches die Optimierung von Kosten und Nutzen auf Basis von Qualitätsmessungen beim Patienten zum Ziel hat.
Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.
Interpharma informiert die Öffentlichkeit über die Belange, welche für die forschende Pharmaindustrie in der Schweiz von Bedeutung sind sowie über den Pharmamarkt Schweiz, das Gesundheitswesen und die biomedizinische Forschung.
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