Stellungnahme von Interpharma zum SRF Tagesschau Beitrag vom 30. August 2022 - Interpharma

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1. September 2022

Stellungnahme von Interpharma zum SRF Tagesschau Beitrag vom 30. August 2022

Am Abend des 30. August hat die Hauptausgabe der Tagesschau unkritisch über eine Studie von Prof. Kerstin Vokinger berichtet. Die Kernaussage des Beitrages: Immer mehr Arzneimittel würden befristet zugelassen. Dabei würde die Mehrheit keinen hohen Nutzen zeigen. Dabei wurden Aussagen gemacht und Zusammenhänge konstruiert, die aus Sicht von Interpharma eine klare Entgegnung benötigen:

  • Einseitige Berichterstattung: Die Tagesschau beschränkt sich auf eine Berichterstattung über einen 5-seitigen Bericht in einem Fachjournal, in dem die Schweiz eine Nebenrolle spielt. Zu Wort kommt neben der Studienautorin noch das BAG. Eine kritische Auseinandersetzung findet jedoch nicht statt – insbesondere kommt die Pharmaindustrie nicht zu Wort. Eine solche Berichterstattung ist einseitig und unausgewogen. Dafür wird dann die Online-Community aufgefordert, mitzudiskutieren. Es stellt sich die Frage, warum das SRF die Pharmaindustrie nicht zu Wort kommen lassen will.
  • Fragwürdige Anwendung der Studienergebnisse auf die Schweiz: Der Beitrag impliziert, dass in der Schweiz nur 8% der befristet zugelassenen Medikamente einen hohen therapeutischen Nutzen zeigen.
    In der Schweiz sind befristete Zulassungen von Medikamenten erst seit 2019 möglich – also knapp 2½ Jahre. Seither sind in der Schweiz nur 13 Medikamente befristet zugelassen worden. Aus 13 Fällen einen statistischen Zusammenhang für die Schweiz herzustellen, welche mit Swissmedic über eine eigene, starke und unabhängige Zulassungsstelle verfügt, ist wissenschaftlich fragwürdig. Entsprechend stellt sich die Frage, warum die Tagesschau diese Studie benutzt, um angebliche Probleme bei der Preisfestsetzung zu thematisieren. Dies, obwohl die Schweiz in dieser Studie nur eine Nebenrolle spielt und die Preisfestsetzung überhaupt nicht aufgenommen wird. Zudem ist festzuhalten, dass – insbesondere bei seltenen Krankheiten – breite klinische Studien oft fehlen, die einen Nutzen wissenschaftlich untermauern könnten – allein schon deshalb, weil es sich um kleine Patientenpopulationen im Bereich der seltenen Krankheiten handelt.
  • Fehlender Zusammenhang zwischen «hohen Preisen» und befristeter Zulassung und «keinem Nutzen»: Der Beitrag konstruiert eine Brücke zwischen hohen Preisen, befristeter Zulassung und keinem Nutzen.
    Wie dieser Zusammenhang aber zustande kommt, oder wie dieser argumentiert wird, ist im Beitrag nicht klar. Die Studie von Frau Vokinger äussert sich nicht zum Thema Preise und dem Einfluss des Nutzens auf die Preisgestaltung. Generell ist festzuhalten: Das aktuelle Preisfestsetzungs-System berücksichtigt den Nutzen nur beschränkt. Wir plädieren für ein breiteres Nutzenverständnis: Nicht nur der therapeutische Wert eines Medikamentes muss eine Rolle spielen, sondern auch dessen indirekter, gesellschaftlicher Nutzen. Wenn eine Patientin oder ein Patient früher aus dem Spital kommt, keine weiteren Therapien mehr benötigt oder schneller wieder am Arbeitsplatz ist, muss dies stärker im Preis reflektiert werden. Es stellt sich die Frage, warum das SRF hier einen in der Studie nicht vorkommenden Zusammenhang konstruieren musste.
  • Fehlende Definition eines «hohen therapeutischen Nutzens»: Ein Kernelement der Studie und des Berichts in der SRF Tagesschau ist der angeblich fehlende «hohe therapeutische Nutzen».
    Was ein hoher therapeutischer Nutzen ist, wird im Beitrag nicht erwähnt. Die Studie beschränkt sich darauf, hierfür das Assessment der Zulassungsbehörden von Deutschland, Kanada oder Frankreich zu nehmen: Sobald eine dieser Behörden einen «hohen therapeutischen Nutzen» feststellte, wurde dieser übernommen. Zudem wurde eine eigene «reevaluation» gemacht. Wie diese aussah, wird aber nicht erwähnt. Eine klare Definition von «hohem therapeutischen Nutzen» fehlt, insbesondere in der Berichterstattung. Hier stellt sich die Frage, wie eine absolut zentrale Grösse undefiniert bleiben kann.
  • Tendenziöse Titel Setzung: «das Prinzip Hoffnung»
    Swissmedic stellt klare Anforderungen an eine befristete Zulassung und gewährt diese nur, wenn ein hoher Nutzen bei einer schweren oder tödlichen Krankheit erwartet wird und keine Alternative verfügbar ist. Diese Erwartung muss in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden. Oft handelt es sich um eine Messung des Ansprechens auf das Medikament. Wie gross der Nutzen bezüglich des Überlebens quantitativ ausfällt, kann erst später (Monate oder Jahre) gemessen werden. Den Patientinnen und Patienten bis dahin den Zugang zu verwehren ist unethisch. Deshalb gibt es die befristeten Zulassungen nach strengen wissenschaftlichen Kriterien.
  • Eine Reihe von Aussagen von Prof. Vokinger werden unkritisch im Beitrag übernommen, ohne sich kritisch mit der Thematik auseinandergesetzt zu haben:
    • Aussage von Prof. Vokinger: «Problemkreis ist, dass Patientinnen und Patienten Zugang haben zu Arzneimitteln, die potenziell nicht wirken oder mit grossen Nebenwirkungen verbunden sein können.»
      Leider ist das Gegenteil der Fall: In der Schweiz besteht seit längerem ein Problem des rechtsgleichen Zugangs der Patientinnen und Patienten zu neuen, hochinnovativen Therapien. Patientinnen und Patienten erhalten in der Schweiz erst Zugang zu einem Medikament, wenn es auf der Spezialitätenliste (SL) steht. Erst dann vergütet eine Krankenkasse ein vom Arzt verschriebenes Arzneimittel im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Diese SL-Aufnahme wird durch das BAG nach Zulassung durch Swissmedic verfügt. Für die Aufnahme wird beurteilt, ob das Arzneimittel wirksam, im Rahmen der sozialen Krankenversicherung zweckmässig und ob es auch wirtschaftlich ist (sogenannte WZW-Prüfung). Während es noch 2015 von der Swissmedic-Zulassung bis zur Aufnahme in die Spezialitätenliste im Mittel 42 Tage dauerte, beträgt diese Zeitspanne mittlerweile durchschnittlich 217 Tage (statt der in der entsprechenden Verordnung vorgesehenen 60 Tage) – ein langer Zeitraum, während die betroffenen Patientinnen und Patienten auf den regulären, gleichberechtigten Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten warten müssen. Vorher kann eine Patientin oder ein Patient nur durch eine Einzelfallprüfung gemäss Artikel 71 a-d KVV Zugang erhalten.
    • Aussage von Prof. Vokinger: «Ein weiterer Problemkreis ist die Preisfestsetzung. Wenn der Nutzen unklar ist, stellt sich die Frage: Wie soll der Preis aussehen?»
      Die Preisfestsetzung ist in der Schweiz klar geregelt. Medikamentenpreise sind keine Marktpreise, sondern staatlich administriert. In der Schweiz verfügt das BAG die Arzneimittelpreise nach gesetzlichen Vorgaben. Zur Preisermittlung zieht das BAG in einem therapeutischen Quervergleich (TQV) zunächst die Behandlungskosten bereits zugelassener Arzneimittel für die Behandlung derselben Krankheit heran. Daraufhin wird der Auslandpreisvergleich (APV) durchgeführt. Im Preisvergleich mit dem Ausland werden Länder berücksichtigt, die mit der Schweiz im Pharmabereich wirtschaftlich vergleichbar sind. Für hochinnovative Medikamente kann noch ein Innovationszuschlag (IZ) von maximal 20% geltend gemacht werden. Die Berechnungsformel lautet entsprechend Listenpreis = (APV+(TQV+IZ))/2. Dies zeigt: Über den Therapeutischen Quervergleich in der Preisberechnungsformel werden Vergleiche zu bestehenden Therapien in der Schweiz bereits heute gemacht. Zudem werden über den Auslandpreisvergleich Nutzenbewertungen ausländischer Behörden importiert.
    • Studienautorin Kerstin Vokinger fordert deshalb deutliche Preisabschläge, solange der Nutzen unklar ist.
      Solche Abschläge werden im Moment im Rahmen der laufenden Vernehmlassung zur KLV/KVV für die angesprochene Einzelfallvergütungen nach Art. 71 a-d KVV diskutiert, jedoch nicht in der Studie. Die Einführung von hohen Preisabschlägen mit kruden Nutzenkategorien als Einheitslösung bei der Einzelfallprüfung beschränken jedoch den Handlungsspielraum aller Beteiligten stark und greifen in ein funktionierendes System ein, obwohl Krankenversicherer und Pharmafirmen heute bereits in 90% der Einzelfälle Lösungen finden. Generell verschlechtern solche Vorschläge von hohen Preisabschlägen auf Medikamenten die Situation für die Patientinnen und Patienten stark: Erst wenn international bereits weitgehend Einigkeit über den Nutzen und den damit verbundenen Preis eines neuen Medikaments herrscht, würden neue Produkte in der Schweiz eingeführt und zu den Patientinnen und Patienten gelangen.
      Zudem: Nach Ansicht von Interpharma sollen Unsicherheiten bei der Neuaufnahme von Arzneimitteln über Preismodelle (wie z.B. pay-for-performance Modellen) adressiert werden. Das BAG plant eine entsprechende gesetzliche Grundlage im Kostendämpfungspaket 2 zu schaffen.
    • Aussage von Prof. Vokinger «Die pharmazeutischen Unternehmen profitieren davon, dass Arzneimittel noch mit unreifen Daten auf den Markt kommen können, wo der Nutzen noch nicht klar ist. Das soll auch im Preis reflektiert werden. Die Gesellschaft soll nicht einen sehr hohen Preis dafür zahlen, wo noch unklar ist, was der Nutzen ist.»
      Interpharma hat hierzu vor Monaten einen konkreten Lösungsvorschlag entwickelt und präsentiert: Der rückvergütete Innovationszugang für Patientinnen und Patienten garantiert unverzüglichen Patientenzugang. Es erstaunt weshalb SRF darauf keinen Bezug nimmt. Kernelement dabei ist, dass unmittelbar zum Zeitpunkt der Swissmedic-Zulassung ein vorläufiger Preis für neue Medikamente mit hohem medizinischem Bedarf durch das BAG gesetzt und das Medikament in die Spezialitätenliste aufgenommen wird. Das BAG hat danach neu ein Jahr Zeit (statt wie bisher 60 Tage), um einen definitiven Preis festzulegen. Die Preisdifferenz zwischen dem vorläufigen und dem definitiven Preis neuer Arzneimittel wird von der Herstellerfirma zurückerstattet. Dadurch wird von Anfang an sichergestellt, dass die Preisvorgaben des Gesetzgebers (WZW-Kriterien) eingehalten werden. So gewinnen alle: Die Patientinnen und Patienten erhalten sofort und gleichberechtigt sowie unkompliziert Zugang, das BAG hat 305 Tage mehr Zeit für die Verhandlungen und die Pharmaunternehmen können ihre Innovationen schneller zu den Menschen bringen.

Eine erfreuliche Aussage zum Schluss: Prof Vokinger regt eine Gesetzesänderung an, der Beitrag meint dazu, dass die Politik die Antwort geben muss. Dies wäre in der Tat zu begrüssen, aber: Im Moment versucht das BAG Änderungen über den Verordnungsweg einzuführen – ausserhalb des Gesetzes und somit ausserhalb des Parlamentes und ausserhalb einer breiten öffentlichen Diskussion. Schade, dass das SRF diese staatspolitische Frage nicht vertieft studiert hat.

Wir sind über die journalistische Leistung der SRF Tagesschau enttäuscht. Interpharma ist jederzeit bereit, konstruktiv über diese Themen zu diskutieren.

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Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.

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