Präeklampsie ist eine schwerwiegende Schwangerschaftskomplikation, die 5–8 % aller Schwangerschaften betrifft und weltweit zu den häufigsten Ursachen für die Sterblichkeit von Müttern und Föten zählt. Trotz ihrer Häufigkeit ist die genaue Ursache der Präeklampsie nach wie vor unklar, was die Entwicklung wirksamer Therapien erschwert. Ein umfassendes Verständnis und eine genaue Modellierung dieser Erkrankung sind wesentliche Schritte zur Verbesserung der mütterlichen und fetalen Gesundheit.
Bisher haben Tiermodelle, die die Präeklampsie nachahmen, den Wissenschaftler*innen geholfen, diese Erkrankung zu verstehen. Einem Team der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Albrecht, das 2019 vom 3RCC gefördert wurde, ist es jedoch, gelungen, die Präeklampsie anhand spezifischer Zellen aus der menschlichen Plazenta, sogenannter Trophoblasten, in vitro1 zu untersuchen, ohne dass Tiermodelle notwendig sind. Präeklampsie geht häufig mit einer Hypoxie einher – einer geringen Sauerstoffversorgung der Plazenta –, die beispielsweise die Bildung von Blutgefässen hemmen kann. Durch die Nachahmung der Hypoxie im Labor konnten die Forschenden wichtige Merkmale der Präeklampsie nachbilden, darunter Marker für Angiogenese2, oxidativen Stress3 und Entzündungen. Ihre in Cells veröffentlichte Studie legt nahe, dass dieses neue Zellmodell uns dabei helfen kann, diese Erkrankung besser zu verstehen.
Das Team entwickelt ein fortschrittliches In-vitro-Kokulturmodell (ein Modell, mit dem untersucht wird, wie verschiedene Zellen miteinander oder mit ihrer Umwelt interagieren), bei dem Trophoblasten und andere Zellen verwendet werden, um die Plazentaschranke nachzubilden und die Struktur und Funktionsweise der Plazenta nachzuahmen. Dieses Modell nutzt ein mikrofluidisches System, das den Fluss im Körper simuliert, und «wäre von grosser Bedeutung für die Prüfung von Medikamenten, die während der Schwangerschaft verabreicht werden und für die Überprüfung der Möglichkeit ihres Transfers zwischen Mutter und Fötus», so Prof. Dr. Albrecht. Wenn Mediziner*innen derzeit entscheiden, ob ein Medikament während der Schwangerschaft sicher ist, wissen sie es oft nicht genau. Die Arbeit von Prof. Dr. Albrecht könnte dies ändern, indem sie eine sichere Möglichkeit bietet, Medikamente zu testen, bevor sie bei schwangeren Patientinnen eingesetzt werden. Darüber hinaus arbeitet das Team in Kooperation mit der Pharmaindustrie daran, die Verwendung von Produkten tierischen Ursprungs in seinem Kultursystem zu reduzieren4.
Im Einklang mit dem 3R-Prinzip5 bietet das vom Labor von Prof. Dr. Christiane Albrecht entwickelte Modell nicht nur wesentliche Vorteile für den Ersatz und die Reduzierung der Verwendung von Tieren und tierischen Produkten in diesem Forschungsbereich, sondern birgt auch grosses Potenzial für ein besseres Verständnis der Präeklampsie und könnte somit zu besseren Therapiestrategien zur Bekämpfung dieser lebensbedrohlichen Erkrankung zu führen.
1 «In vitro» ist ein lateinischer Begriff, der übersetzt «im Glas» bedeutet. In wissenschaftlichen Kontexten bezieht sich der Begriff auf Experimente oder Prozesse, die ausserhalb eines lebenden Organismus durchgeführt werden, in der Regel in einer kontrollierten Laborumgebung. Bei In-vitro-Experimenten werden oft isolierte Zellen, Gewebe oder Organe verwendet, sodass Forschende biologische Phänomene unter kontrollierten Bedingungen untersuchen können. Dieser Ansatz kommt häufig in Bereichen wie Zellbiologie, Mikrobiologie, Pharmakologie und Toxikologie zum Einsatz, um zelluläre Prozesse, Arzneimittelwirkungen, Krankheitsmechanismen und vieles mehr zu untersuchen.
2 Angiogenese: die Bildung neuer Blutgefässe
3 Oxidativer Stress: Entsteht, wenn sich zu viele schädliche Moleküle, sogenannte freie Radikale im Körper befinden, die die Zellen schädigen können.
4 Ein Kultursystem ist eine kontrollierte Umgebung, die das Wachstum und die Entwicklung von Zellen, Geweben oder Mikroorganismen ausserhalb ihres natürlichen Umfelds, in der Regel in einer Laborumgebung, unterstützt.
5 3R-Prinzip: Das Prinzip der 3R (Replacement, Reduction and Refinement – Ersatz, Verringerung und Verfeinerung) in Bezug auf Tierversuche wurde 1959 von William Russell und Rex Burch in einem Buch mit dem Titel «Principles of Humane Experimental Technique» postuliert. Diese Prinzipien werden heute international von Wissenschaftler*innen als moralische Verpflichtung anerkannt. Darüber hinaus werden sie in vielen nationalen Tierschutzgesetzen umgesetzt.
Autoren: Christopher Cederroth, Jessica Lampe und Robbie I’Anson Price, Swiss 3R Competence Centre.
Literatur: Fuenzalida B, Kallol S, Zaugg J, Mueller M, Mistry HD, Gutierrez J, Leiva A, Albrecht C. (2022). Primary Human Trophoblasts Mimic the Preeclampsia Phenotype after Acute Hypoxia–Reoxygenation Insult.Cells. 11: 1898, https://doi.org/10.3390/cells11121898
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