Menschliche Alveolarzellen auf einem Chip weisen vielversprechende Eigenschaften auf – ähnlich wie in Tierstudien.
Forschende verwenden zunehmend Modelle, die lebende Zellen ausserhalb von Tieren nutzen, um Lungenfunktion, Inhalationstoxizität, Arzneimittelsicherheit und Krankheitsmechanismen zu untersuchen. Zuverlässige Modelle von Alveolarzellen1 zu erstellen, die sich tief in den Atemwegen befinden, war jedoch bisher eine Herausforderung.
Den Durchbruch hat nun ein Team um den 3RCC-Stipendiaten Olivier Guenat im ARTORG Center2 in Bern geschafft, der mithilfe der Organ-on-Chip-Technologie erfolgreich eine menschliche Alveolarzelllinie in ein Lung-on-Chip-Modell3 gebracht hat. Dieses innovative Modell imitiert die Lungenumgebung mit atmungsähnlichen Bewegungen und ultradünnen, porösen und elastischen Membranen. Das im Journal of Frontiers in Toxicology veröffentlichte Lung-on-Chip-Modell ist eine vielversprechende Möglichkeit, Tiermodelle zur Untersuchung von Lungenfunktion, Krankheitsmechanismen und Behandlungsoptionen zu ersetzen.
Eine der wichtigsten Errungenschaften dieses Modells ist die Aufrechterhaltung der alveolo-epithelialen Schranke, einer Schicht, die das Lungeninnere von der äusseren Umwelt abtrennt. Diese Barriere schützt nicht nur vor Umweltstressoren und Krankheitserregern, sondern verhindert auch eine Flüssigkeitsansammlung in der Lunge. Durch die Kombination der Organ-on-Chip-Technologie mit menschlichen Alveolarzellen fanden die Forschenden mithilfe von Techniken wie der Durchflusszytometrie (die mittels Laser die Eigenschaften von Zellen analysiert) und Genexpressionsanalysen (die beurteilen, ob Gene als Reaktion auf Reize aktiviert oder deaktiviert werden) heraus, dass die Zellen zu den spezialisierten Lungenzellen der Alveolen heranreifen. Diese Reifung wurde dadurch verstärkt, dass man die Zellen einem Atemzyklus aussetzte, bei dem sie gedehnt wurden.
Das Team bestätigte, dass das zelluläre Modell Merkmale von Zellen aufweist, die auf eine SARS-CoV2-Infektion reagieren. Das Modell eignet sich deshalb zur Untersuchung, wie das Virus menschliche Lungen infiziert, sowie zum Testen möglicher Therapien, da es der tatsächlichen menschlichen Reaktion auf das Virus sehr nahekommt. Mithilfe von Messungen des elektrischen Widerstands (ein Mass, das verwendet wird, um zu bestimmen, wie gut Zellen eine Barriere bilden) fanden die Forschenden heraus, dass das Lung-on-Chip-Modell eine enge und funktionelle Alveolarschranke aufweist, die mit Fibrose oder Entzündungsreizen auslösenden Medikamenten gestört werden könnte. So ahmt das Lung-on-Chip-Modell erfolgreich eine gesunde, intakte Barrierefunktion der Alveole nach, die für eine einwandfreie Lungenfunktion entscheidend ist. Indem gezeigt wird, dass diese Barriere mit Medikamenten, die Fibrose- (Narbenbildung) oder Entzündungsreaktionen hervorrufen, durchbrochen werden kann, wird das Modell zu einem wirkungsvollen Mittel, um Erkrankungen wie Lungenfibrose oder COVID-19 zu untersuchen, bei denen die Lungenbarriere beeinträchtigt ist. Anhand dieses Modells können Forschende testen, wie sich verschiedene Medikamente oder Therapien auf die Lungenfunktion auswirken, und so möglicherweise dazu beitragen, Therapien zum Schutz oder zur Wiederherstellung der Lungenbarriere zu entwickeln.
Das neue Lung-on-Chip-Modell stellt einen bedeutenden Fortschritt auf diesem Gebiet dar und bietet eine zuverlässige und ethische Alternative zu Tierversuchen. Die Fähigkeit des Modells, die Umgebung der Lunge nachzuahmen und auf medikamentöse Behandlungen zu reagieren, unterstreicht das Potenzial, unser Wissen über Lungenfunktion, Krankheitsmechanismen und die Entwicklung effektiverer Therapien zu erweitern.
1 Alveolarzellen sind Zellen, die die Alveolen auskleiden, wobei es sich bei den Alveolen um winzige Luftsäcke in der Lunge handelt, in denen der Gasaustausch stattfindet.
2 ARTORG – Das Center for Biomedical Engineering Research ist ein Forschungszentrum in Bern, das für seine innovativen Gesundheitstechnologien bekannt ist.
3 Ein Lung-on-Chip-Modell ist eine Bioengineering-Technologie, die mittels Zellbiologie und Mikrofluidik eine kleinräumige Umgebung schafft, in der Lungenzellen überleben und Lungenfunktionen ausserhalb des Körpers nachahmen können.
Autorinnen und Autoren: Christopher Cederroth, Jessica Lampe und Robbie I’Anson Price, Swiss 3R Competence Centre
Literatur: Sengupta A, Roldan N, Kiener M, Froment L, Raggi G, Imler T, de Maddalena L, Rapet A, May T, Carius P, Schneider-Daum N, Lehr C-M, Kruithof-de Julio M, Geiser T, Marti TM, Stucki JD, Hobi N und Guenat OT (2022). A New Immortalized Human Alveolar Epithelial Cell Model to Study Lung Injury and Toxicity on a Breathing Lung-On-Chip System. Front. Toxicol. 4:840606. https://doi.org/10.3389/ftox.2022.840606
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