«Die Pharma-Industrie wird nicht ruhen, bis wirksame Medikamente und Impfstoffe für den Einsatz gegen Covid-19 entwickelt sind» - Interpharma

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15. Mai 2020

«Die Pharma-Industrie wird nicht ruhen, bis wirksame Medikamente und Impfstoffe für den Einsatz gegen Covid-19 entwickelt sind»

In unserem Update-Interview berichtet Dr. René Buholzer, CEO von Interpharma, über den aktuellen Stand der Forschung im Kampf gegen Covid-19, äussert Gedanken zur Versorgungssicherheit in der Krise und spricht in diesem Kontext auch über die Wichtigkeit des Schutzes des geistigen Eigentums in der Schweiz.

Covid-19-Krise, welche Bilder kommen Ihnen spontan in den Sinn?

Bilder von genesenen, vor Freude weinenden Patientinnen und Patienten, doch leider auch die aufwühlenden Bilder der militärischen Leichentransporte in Italien. Ich spüre auch eine grosse Dankbarkeit für die Ärzte und unser Pflegepersonal in der Schweiz und weltweit. Sie verdienen höchsten Respekt und Dankbarkeit.

Schwierig von der Emotionalität zur Realität zurückzufinden: Der Bundesrat hat nun die lang ersehnten Lockerungen beschlossen, wie beurteilen Sie diese jüngsten Massnahmen?

Die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus konnte nur dank massiven Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Bevölkerung sowie einem noch nie dagewesenen Eingriff in das Wirtschaftsleben zurückgebunden werden. Diese Phase war wohl nötig, kann aber kein Normalzustand für unsere Gesellschaft sein. Ich bin froh, dass der Bundesrat jetzt der Bevölkerung und der Wirtschaft wieder Perspektiven aufgezeigt hat und schrittweise Öffnungen in verschiedenen Bereichen zulässt. Mir ist auch bewusst, dass wir unter Umständen in den kommenden Monaten auch Rückschläge als Gesellschaft in Kauf nehmen müssen. Es ist ein Fakt: Wir müssen trotz Covid-19 wieder in eine gewisse Normalität in unserem Zusammenleben mit geeigneten Massnahmen zurückfinden. Ich denke, es ist uns allen klar: Wir alle werden in den kommenden Monaten weiterhin sehr stark wegen Covid-19 gefordert sein, ob im Beruf, in der Familie oder in der Freizeit.

Apropos, stark gefordert. Wie beurteilen Sie die Versorgungssicherheit in der Schweiz?

Lassen Sie mich klar festhalten: Trotz Krise und einer noch nie dagewesenen Nachfrage nach gewissen Medikamenten hatten wir keinen Versorgungsengpass bei patentgeschützten Produkten. Das System funktioniert und weist bereits heute eine hohe Stabilität und Krisenresistenz auf. Die vereinzelten Versorgungsengpässe betreffen überwiegend nicht mehr patentgeschützte Produkte wie Antibiotika und gewisse Schmerzmittel, die teilweise bereits vor der Krise bestanden. Es gab auch unsolidarische Hamsterkäufe. Das kann in Einzelfällen zu problematischen Situationen für Patienten führen, die wegen dieser übertriebenen Vorratshaltung vorübergehend auf das von ihnen benötigte Medikament warten müssen. Hier sind wir gerne bereit, uns mit den Behörden dahingehend auszutauschen, wie diese Situation in Zukunft verbessert werden kann. 

Wäre nicht die vermehrte Produktion von Medikamenten und Impfstoffen in der Schweiz sinnvoll?

Klar ist: Die ganze Produktion wieder in die Schweiz zurück zu verlagern, ist eine unrealistische Forderung in unserem arbeitsteiligen Wirtschaftssystem. Die Schweiz wird nicht alle wichtigen Medikamente autark produzieren können. Mit Pharma-Exporten in der Höhe von 88,2 Mrd. Franken (2018) und einem Umsatz der Interpharma-Mitglieder hierzulande von lediglich 3,8 Mrd. Franken würde die Schweiz auch zu den grössten Verliererinnen einer solchen Politik gehören. Deshalb sollte sich die Schweiz – wie bislang – auf die Medikamente mit hoher Wertschöpfung konzentrieren und sich international für offene Märkte und einen stabileren multilateralen Handelsrahmen einsetzen Es stehen rund 9,3% der Schweizer Wertschöfpung auf dem Spiel – eine nicht zu vernachlässigende Grösse angesichts unserer aktuellen konjunkturellen Lage.

Hinzu kommt: Selbst die Produktion eines herkömmlichen Medikaments ist ein komplexer Prozess. Die Synthese eines chemischen Präparats erfolgt nicht selten über zwanzig Stufen, die sich auf verschiedene Fertigungsstätten weltweit verteilen, die alle regelmässig von den verschiedenen Zulassungsbehörden streng kontrolliert werden. Ein solch hochkomplexes System lässt sich nicht einfach in ein Land „zurückverlagern.“ Wir sprechen hier nicht von der vergleichsweise einfachen Produktion von Schutzmasken,

Was ist zu tun?

Der richtige Weg ist eine Stärkung  des Pharmastandort Schweizdurch die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dazu gehören die Sicherung des Zugangs zu den Exportmärkten, der Erhalt und die Weiterentwicklung der Bilateralen mit der EU sowie eine konsequente Bekämpfung sämtlicher Initiativen, die den Schweizer Standort schwächen, verteuern oder zusätzlich administrativ belasten (z.B. EU-Kündigungsinitiative, Forschungsverbotsinitiative, Unternehmensverantwortungsinitiative etc.). Wie wichtig der Schutz des geistigen Eigentums ist, hat sich gerade im Kampf gegen Covid-19 wieder einmal gezeigt.

Wie bitte? Der Schutz des geistigen Eigentums fördert Innovation und rettet Leben?

Ja, die beste Investition für eine nachhaltige Krisenbewältigung in der Zukunft ist die Stärkung des Forschungsplatzes Schweiz. Der Forschungs- und Pharmastandort Schweiz muss durch einen soliden Schutz des geistigen Eigentums zum Wohle des Schweizer Gesundheitssystems und der Gesellschaft gesichert und gestärkt werden. Die kostenintensive Forschungsinfrastruktur, die es biopharmazeutischen Unternehmen in der Schweiz heute ermöglicht, in Gesundheitskrisen rasch und effizient zu handeln, Kapazitäten auszubauen und damit Leben zu retten, kann nicht erst im Krisenfall aufgebaut werden, sondern ist das Ergebnis von jahrzehntelangem nachhaltigem Engagement, Investitionen und Fachwissen, das durch das Patent- und IP-Anreizsystem seit vielen Jahren in der Schweiz besteht. Diagnostika, Impfstoffe und Medikamente, die bereits heute oder dereinst gegen Covid-19 eingesetzt werden, werden auf der Grundlage von soliden, langjährigen Forschungsplattformen erforscht und entwickelt. Nur so war es möglich, dass nach wenigen Wochen bereits Millionen von Tests ausgeliefert werden konnten oder dass bereits innerhalb von 12-18 Monate ein Impfstoff vorliegen könnte. Auf dieser Grundlage ist eine starke Partnerschaft zwischen Regierung, Parlament, Partnern im Gesundheitswesen und Industrie der nachhaltigste und sicherste Weg zu einer besseren Krisenbewältigung in der Zukunft.

Wie sieht die Zwischenbilanz der Impfstoff-Anstrengungen der forschenden Pharmaindustrie gegen das Covid-19-Virus konkret aus?

Am 24. April 2020 waren weltweit 506 klinische Versuche zur Behandlung von COVID-19 bekannt. Sieben Impfstoffkandidaten befinden sich in der klinischen Erprobung und weitere 82 in der präklinischen Entwicklungsphase. Noch besteht kein Grund für übertriebenen Optimismus, doch es sind ermutigende Fakten auf dem Weg zu einer Lösung des Problems. Und die Schweiz hat daran grossen Anteil.

Können Sie Beispiele geben?

Gerne. Beispielsweise gab Interpharma-Mitglied Roche anfangs Mai die Zulassung der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA für ihren neuen Elecsys® Anti-SARS-CoV-2-Antikörpertest bekannt. Der Test soll helfen festzustellen, ob ein Patient dem SARS-CoV-2-Virus ausgesetzt war und ob der Patient Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt hat. Roche hat bereits mit der Auslieferung des neuen Antikörpertests an führende Labors weltweit begonnen und wird die Produktionskapazität im hohen zweistelligen Millionenbereich pro Monat erhöhen, um die Gesundheitssysteme weltweit beliefern. Auch Interpharma-Mitglied Johnson & Johnson hat bereits Ende März gemeldet, im September eine Phase-1-Studie für eine Impfung gegen das neue Coronavirus zu beginnen. Beteiligt an dieser Impfstoffentwicklung ist auch der zu Johnson & Johnson gehörende Janssen Vaccines Standort in Bern. Klinische Daten sollen vor dem Jahresende vorliegen, und es soll möglich sein, dass der Impfstoff in den ersten Monaten des Jahres 2021 zumindest für Noteinsätze zur Verfügung steht. Dies sind zwei von sehr vielen Beispielen von Aktivitäten unserer Interpharma-Mitgliedern im Kampf gegen Covid-19.

Mit einer Mischung zwischen Hoffnung und Ungeduld erwartet die Öffentlichkeit eine Antwort auf die Frage: Wie lange dauert es konkret bis zu einem marktreifen Impfstoff?

Normalerweise braucht die Industrie sechs bis 15 Jahre für die Entwicklung eines neuen marktreifen Impfstoffs. Experten rechnen aktuell, dass es aufgrund der enormen Anstrengungen der forschenden Industrie bis zur marktreifen Einführung eines Impfstoffs gegen Covid-19 vielleicht nur 12 bis 18 Monate dauern wird. Hier ist einerseits Geduld und Verständnis der gesamten Bevölkerung und der Behörden gefordert – denn Sicherheit geht vor, andrerseits sind solche zeitlichen Prognosen von Experten auch ein ermutigendes Zeichen. Erfreulicherweise sind auch viele Interpharma-Mitglieder im Kampf gegen das Covid-19-Virus in verschiedenen Projekten aktiv engagiert.

Ihr Schlusswort?

Der unkomplizierte Austausch in Allianzen und firmenübergreifenden Projekten in der Pharma-Industrie ist in diesen Monaten einzigartig, ermutigend und auch sehr intensiv. Viele Forscherinnen und Forscher gehen seit Ausbruch der Pandemie auch physisch an ihre Grenzen. Ich bin sehr beeindruckt, wie unsere Forscherinnen und Forscher in den verschiedensten Bereichen, ob bei der Entwicklung von Medikamenten, in der Diagnostika oder bei den Impfstoffen rund um die Uhr an Lösungen gegen den Virus SARS CoV-2 arbeiten. Klar ist: Die Pharma-Industrie wird nicht ruhen, bis wirksame Medikamente und Impfstoffe für den Einsatz gegen Covid-19 entwickelt sind und in genügender Menge produziert werden können.

Interview: Michael Schiendorfer

Dr. René P. Buholzer

Geschäftsführer

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Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.

Interpharma informiert die Öffentlichkeit über die Belange, welche für die forschende Pharmaindustrie in der Schweiz von Bedeutung sind sowie über den Pharmamarkt Schweiz, das Gesundheitswesen und die biomedizinische Forschung.

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