Welche Auswirkungen haben Antibiotikaresistenzen? Warum sind viele Antibiotika von Engpässen betroffen und wie kann dafür gesorgt werden, dass wieder mehr Antibiotika zur Verfügung stehen? Professor Rudolf Blankart beantwortet im Interview mit Interpharma die wichtigsten Fragen rund um das Thema.
Prof. Dr. Rudolf Blankart ist Professor für Regulierung im Gesundheitswesen am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern, Mitglied der Geschäftsleitung am Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine (sitem-insel) sowie Präsident des Round Table Antibiotika Schweiz.
Antibiotikaresistenzen zählen zu den zehn grössten globalen Herausforderungen im Gesundheitswesen. Das Hauptproblem besteht darin, dass sich Bakterien anpassen und gegen unser aktuelles Arsenal an Antibiotika unempfindlich werden. Dadurch werden Infektionen, die früher gut behandelbar waren, zunehmend schwieriger oder gar nicht mehr behandelbar.
Die moderne Medizin, wie wir sie heute kennen, ist ohne effektive Antibiotika nicht denkbar. Antibiotika werden bei vielen Spitalbehandlungen, etwa bei Operationen, Krebstherapien oder Harn- und Atemwegsinfektionen, vorbeugend oder als Mittel zur Heilung eingesetzt. Werden diese Behandlungsoptionen durch Resistenzen eingeschränkt, muss auf weniger erprobte oder nebenwirkungsreichere Antibiotika zurückgegriffen werden. Im schlimmsten Fall können Patienten gar nicht mehr behandelt werden.
Ohne die ständige Entwicklung neuer Antibiotika zur Behandlung resistenter Erreger drohen erhöhte Sterblichkeit, verlängerte Krankheitszeiten und höhere Kosten für das Gesundheitssystem. Der bekannte Bericht von Jim O’Neill (2016) sagt bis 2050 jährlich bis zu 10 Millionen Todesfälle weltweit aufgrund von Antibiotikaresistenzen vorher, falls keine Gegenmassnahmen ergriffen werden. Das Risiko, an einer unbehandelbaren bakteriellen Infektion zu sterben, wäre dann höher als an Krebs zu versterben.
Es besteht dringender Bedarf an neuen Antibiotika, um der langsamen Abnahme der Wirksamkeit bestehender Antibiotika etwas entgegenzusetzen. Dennoch sind die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in diesem Bereich im Vergleich zu anderen Krankheitsgebieten sehr klein. In den letzten 20 Jahren kam kein relevanter neuer Wirkstoff auf den Markt. Gleichzeitig sind viele ältere, aber hochwirksame Antibiotika oft nicht verfügbar.
Diese Situation hat keine wissenschaftlichen, sondern wirtschaftliche Gründe. Sowohl für Pharmafirmen als auch Investoren und Forschende ist es lukrativer, in andere Therapiebereiche zu investieren. Denn neue Antibiotika werden zurückhaltend eingesetzt, um die Resistenzbildung zu vermeiden, und erzielen keine hohen Umsätze. Auch fehlt es an Anreizen für Pharmaunternehmen, in Massnahmen zur Sicherstellung der Liefersicherheit zu investieren.
Der Round Table Antibiotika vereint Experten aus Wissenschaft, Politik und Industrie. Er setzt sich für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für versorgungskritische Antibiotika ein. Passende Rahmenbedingungen durch innovative Vergütungsmodelle sollen es den Herstellern erlauben, die Forschungs- und Entwicklungskosten zu decken und in Massnahmen zur Stärkung der Versorgungssicherheit von Antibiotika zu investieren.
Wir sind überzeugt, dass ein innovatives Vergütungssystem für Antibiotika nicht nur den individuellen Patientennutzen, sondern aus Perspektive der öffentlichen Gesundheit die Absicherung gegen schwer behandelbare Infektionen berücksichtigen muss. Denn nur so wird es für die Beteiligten attraktiv, die Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe wiederzubeleben und gleichzeitig die Versorgungssituation zu verbessern. Neben neuen Antibiotika können auch Nischen-Antibiotika, z.B. Antibiotika-Sirup für Kinder, im Markt gehalten werden. Wenn Hersteller solche Produkte auf Grund mangelnder Kostendeckung aus dem Markt zurückziehen, muss in manchen Fällen auf teurere Alternativen oder Apothekenrezepturen zurückgegriffen werden. Dies erhöht die Kosten für das Gesundheitssystem zusätzlich.
Ein innovatives Vergütungsmodell in der Schweiz allein wird die Forschung in Universitäten und die Entwicklung in Unternehmen weltweit nicht wesentlich beeinflussen. Doch in Zusammenarbeit mit anderen Ländern kann die Schweiz als internationaler Pharmastandort einen wichtigen Beitrag leisten. Grossbritannien und Schweden haben bereits Pilotversuche mit einem solchen Vergütungsmodell durchgeführt. Grossbritannien setzt nun ein solches Modell definitiv um.
«Innovative Vergütungsmodelle zur Förderung der Entwicklung neuer Antibiotika und zur Sicherstellung der Versorgung sind entscheidend im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen.»
Prof. Dr. Rudolf Blankart
International werden, neben der klassischen Forschungsförderung, verschiedene Vergütungsansätze erörtert, die nach der Marktzulassung von Antibiotika ansetzen.
Besonders diskutiert werden zwei Modelle: Erstens das Subskriptionsmodell, das einen bestimmten, zum Voraus festgelegten jährlichen Ertrag zusichert, unabhängig davon, wie oft das Antibiotikum tatsächlich eingesetzt wird. Im Gegenzug garantiert der Hersteller den Zugang zum Produkt. Zweitens das Modell der übertragbaren Exklusivitätsverlängerungen: Unternehmen, die ein neues Antibiotikum auf den Markt bringen, können im Gegenzug den Patentschutz auf einem anderen Produkt um eine festgelegte Zeit verlängern, oder den Gutschein auf eine Patentschutz-Verlängerung an ein anderes Unternehmen verkaufen. Die Anwendung dieser Verlängerung ist sehr wertvoll und stellt daher einen grossen Anreiz dar, neue Antibiotika zu entwickeln.
Bei der Auswahl eines Modells ist es wichtig, dass das Modell zum Gesundheitssystem des jeweiligen Landes passt. Der Round Table Antibiotika hat die Eignung verschiedener Modelle für die Schweiz evaluiert. Wir sind zur Überzeugung gekommen, dass ein Subskriptionsmodell am besten zum schweizerischen Gesundheitssystem passt.
Innovative Vergütungsmodelle zur Förderung der Entwicklung neuer Antibiotika und zur Sicherstellung der Versorgung sind entscheidend im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Sie entfalten auch dann ihre Wirkung, wenn die Länder unterschiedliche Ansätze verfolgen. Wichtiger als einheitliche Modelle ist die Bereitschaft der Länder, sich am Kampf gegen Antibiotikaresistenzen zu beteiligen und das sogenannte Trittbrettfahrer-Verhalten zu vermeiden. Denn nur wenn sich viele Länder engagieren und innovative Lösungen etablieren, lassen sich die Herausforderungen der Antibiotikaresistenz langfristig bewältigen.
Polek, B., Bachmann, V., Fürst, W., & Blankart, R. (2024). Wirksame Antibiotika für das Schweizer Gesundheitssystem: Heute und in der Zukunft.
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