Die Erosion geht weiter: Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf zur Stärkung des Schweizer Pharmastandortes. Leider. - Interpharma

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27. Januar 2023

Die Erosion geht weiter: Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf zur Stärkung des Schweizer Pharmastandortes. Leider.

Der Standortwettbewerb um die konjunkturresistente, hochinnovative und wohlstandsschaffende Pharmabranche ist im vollen Gange. Während andere Länder wie Grossbritannien oder Dänemark umfassende Strategien zur Stärkung der Standortattraktivität für Pharmaunternehmen erarbeiten, kommt der Bundesrat zum Schluss: Es besteht kein Handlungsbedarf. Hat er die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

Der internationale Standortwettbewerb, der durch die Covid-Pandemie zusätzlich an Schwung gewonnen hat, verschärft sich weiter. Andere Länder haben den Wert der forschenden Pharmaindustrie erkannt und entsprechend eigene Pharmastrategien entwickelt, um die Attraktivität für diese wertschöpfungsintensive Branche zu erhöhen. Die Pandemie hat auch die Bedeutung für ein Land wie die Schweiz aufgezeigt: Trotz der aussergewöhnlichen und herausfordernden Umstände war die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit patentgeschützten Medikamenten jederzeit gewährleistet. Mit starken Exportzahlen während der Pandemie hat die Branche einmal mehr die Rolle als Wirtschaftslokomotive wahrgenommen und ihre Krisenresistenz eindrücklich aufgezeigt.

Optimale Rahmenbedingungen sind für einen erfolgreichen und international konkurrenzfähigen Pharmastandort essenziell. Die Standortattraktivität steht jedoch von vielen Seiten unter Druck: Wirtschaftsfeindliche Vorstösse, die Erosion der bilateralen Verträge mit der EU, regulatorische Hürden für die Forschung sowie wachsende Bürokratie- und Regulierungskosten gefährden die Spitzenplätze der Schweiz in den Bereichen Innovation, Produktivität und Export. Der technologische Fortschritt und die wachsende Digitalisierung führen dazu, dass zunehmend auch branchenfremde Unternehmen in diesen Markt eindringen.

Auftrag des Postulates Schmid nicht erfüllt

Am 24. September 2020 nahm der Ständerat das Postulat Schmid vom 18. Juni 2020 (20.3752) «Stärkung des Pharma- und Biotechnologie-Standorts Schweiz» einstimmig an. Das Postulat beauftragte den Bundesrat, einen Bericht über die wirtschaftlichen und forschungspolitischen Aspekte zu verfassen, die den pharmazeutischen und biotechnologischen Forschungs- und Unternehmensstandort Schweiz sichern und stärken.

Der diese Woche erschienene Bericht des Bundesrates zeigt umfassend auf, was alles auf dem Spiel steht: Die Privatwirtschaft – mit der Pharmabranche als grösster privater Investor – investiert jährlich fast 17 Mrd. Franken in den Schweizer Forschungsplatz. Weiter ist die pharmazeutische Industrie der Wirtschaftsmotor und ist seit Jahren hauptverantwortlich für den Handelsüberschuss der Schweiz. Über 250’000 Arbeitsplätze hängen vom Erfolg der Pharmabranche ab. Im Kanton Basel – einer der wenigen Nettozahler im Finanzausgleich – wird über 1/3 der Wertschöpfung von der Pharmabranche erwirtschaftet. Werden auch die indirekten Effekte berücksichtigt, erhöht sich dieser Wert nochmals erheblich.

Der Bericht zeigt aber auch eindrücklich auf, mit welchen grossen Herausforderungen die Pharmabranche konfrontiert ist. Die Schweiz hinkt bei der Digitalisierung meilenweit hinterher, der Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist nicht länger gesichert, die Fachkräfte fehlen, die regulatorischen Hürden für die Forschung werden immer höher und der Zugang der Patientinnen und Patienten zu innovativen Medikamenten stockt seit 2015.

Angesichts der Bedeutung und der anstehenden Herausforderungen überrascht deshalb das Urteil des Bundesrates umso mehr: Er sieht keinen Bedarf, den Produktions- und Forschungsstandort zu stärken. Aus der Sicht der pharmazeutischen Industrie hingegen ist das Verdikt klar: Der Auftrag der Postulates Schmid ist nicht erfüllt.

Keine konkreten Massnahmen

Der Bericht des Bundesrates zum Postulat Schmid erarbeitet keine einzige konkrete Massnahme, um den Pharmastandort zu stärken. Gleichzeitig verpasst er, eine gesamtheitliche Sicht oder Stossrichtung vorzugeben. Er verweist vielmehr auf den lückenhaften Flickenteppich von Einzelmassnahmen.

Bei der wohl grössten Baustelle, der Digitalisierung, nennt der Bundesrat das «Swiss Personalized Health Network», welches er im Bericht selbst lediglich als «ersten Schritt» bezeichnet. Weiter sieht er die Einführung der E-ID vor, was zwar begrüssenswert ist, in vielen anderen Ländern aber bereits seit Jahren der Standard ist. Dies reicht bei weitem nicht aus, um den massiven Rückstand der Schweiz im Bereich Digitalisierung aufzuholen. Angesichts der aktuellen Positionierung gegenüber anderen Ländern bei der Digitalisierung gleicht dies einer Kapitulation. Im internationalen Vergleich bewegt sich die Schweiz auf dem Niveau von Ländern wie Rumänien oder Bulgarien. Dass insbesondere im Bereich der Digitalisierung akuter Handlungsbedarf besteht, sollte spätestens nach der Coronakrise auch dem Bundesrat klar sein.

Die zweite grosse Baustelle ist der Zugang zu den internationalen Absatzmärkten für die Schweiz. Statt konkrete Massnahmen aufzuzeigen, wie die festgefahrene Situation mit der EU geklärt werden könnte, verweist er auf die laufenden Bemühungen des Bundesrates. Wie erfolgreich diese Bemühungen in den vergangenen Jahren waren, haben wir alle noch schmerzlich in Erinnerung, als der Bundesrat die Verhandlungen zum Abschluss eines Abkommens kurzerhand abgebrochen hat. Der Bericht zum Postulat Schmid wäre die Gelegenheit gewesen Massnahmen herauszuarbeiten, wie die drohende Erosion der Bilateralen gestoppt werden könnte – beispielsweise durch eine partielle Herauslösung gewisser Kapitel aus dem MRA für einzelne Sektoren. Statt mit konkreten Ideen und Massnahmen Lösungsansätze zu erarbeiten, schmückt sich der Bundesrat mit dem Abschluss des MRA mit den USA. Das sehr erfreuliche Beispiel des MRAs mit den USA zeigt was möglich wäre, würde man ein innovativ-pragmatisches Vorgehen mit weitergehenden Ambitionen kombinieren.

Ebenfalls keinen Handlungsbedarf sieht der Bundesrat bei den übrigen Themen, obwohl die Wirtschaft nach Fachkräften schreit und das Gesundheitswesen aufgrund der einseitigen Fokussierung auf die Kosten nicht für die Zukunft fit gemacht wird.

Letztendlich führt der Bundesrat aus, weshalb er den Nutzen einer Einführung eines Beirates für gering hält: Die pharmazeutische Industrie habe bereits heute genügend Möglichkeiten, sich bei den Behörden einzubringen. Dies verkennt die Idee eines Beirates, die Rahmenbedingungen für den Standort aus einer Position der Stärke heraus und proaktiv für die Herausforderungen der Zukunft zu gestalten. Dass der Beirat auch ein Ausdruck von Wertschätzung gegenüber dem grössten Steuerzahler der Schweiz und als institutionalisierter Dialog zur Stärkung des Pharmastandorts betrachtet werden könnte, scheint der Bundesrat nicht zu realisieren.

Der Wohlstand der Schweiz ist gefährdet

Der Abstieg des Schweizer Finanzplatzes zeigt, dass der Erfolg einer Branche nicht selbstverständlich ist. Es wurde verpasst, die Rahmenbedingungen rechtzeitig an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen. Als Konsequenz sinken die Steuereinnahmen und viele Arbeitsplätze gehen verloren.

Dunkle Wolken ziehen auch am Horizont der Pharmaindustrie auf. Erste Indikatoren zeigen, dass die Dynamik in der Pharmabranche abgenommen hat. Die Exporte pharmazeutischer Produkte in die EU haben im Jahr 2022 um über 6% abgenommen, die Beschäftigungszahl stagniert seit Jahren. Mit ganz wenigen Ausnahmen wurden grosse Investitionen in den vergangenen Jahren nicht mehr in der Schweiz, sondern in anderen Ländern getätigt. Dass unter dieser negativen Entwicklung nicht nur die Branche leidet, sondern auch die Bevölkerung und der Wohlstand der Schweiz, erklärt sich von selbst.

Der Bundesrat will nicht gestalten, sondern nur verwalten. Dies ist für Interpharma eine grosse Enttäuschung. Wir sind weiterhin überzeugt, dass es eine übergeordnete Strategie zur Stärkung der Rahmenbedingungen für den Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz zum Wohle der Schweizer Bevölkerung braucht. Ohne Gesamtsicht aller Initiativen und Vorstösse und einer Vision und klaren Ambitionen dürfte es schwierig werden, die Rahmenbedingungen rechtzeitig den grossen zukünftigen Herausforderungen anzupassen. Zum Schaden des Forschungs- und Innovationsstandortes Schweiz und seiner Bevölkerung.

Dr. René P. Buholzer

Geschäftsführer

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Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz und wurde 1933 als Verein mit Sitz in Basel gegründet.

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