Die Schweizer Rechtsvorschriften über Tierschutz erkennen das Empfindungsvermögen von wirbellosen Lebewesen an, etwa von Kopffüssern und Zehnfusskrebsen. Dazu gehören beispielsweise Meerestiere wie Oktopus und Kalmar sowie Krabben und Hummer. Diese Entscheidung basiert auf der Erkenntnis, dass Emotionen und Empfindungen (also Empfindungsvermögen) nicht nur auf Menschen und Tiere wie Säugetiere beschränkt sind, die genetisch näher mit dem Menschen verwandt sind. Diese Debatte wurde vor fast einem Jahrzehnt angestossen, als es um die Frage ging, ob Fische Schmerzen empfinden können.
Jedoch Schmerz ist keine Emotion. Schmerz, auch Nozizeption genannt, ist die unbewusste Reaktion auf schmerzhafte Reize. Diese Reaktion wird vom peripheren Nervensystem1 weitergeleitet und benötigt für die erste Reaktion das Gehirn nicht. Emotion hingegen erfordert eine subjektive Erfahrung, die ansprechend oder ablehnend, positiv oder negativ sein kann. Als sich zum Beispiel herausstellte, dass Fische aus negativen Erfahrungen lernen und gefährliche Situationen vermeiden können, kam man zu dem Schluss, dass Fische diese schädlichen Situationen «gefühlt» und verarbeitet haben.
Bei Insekten ging man lange davon aus, dass sie wiederholt auf schädliche Reize reagieren, ohne daraus zu lernen. In einer in PNAS veröffentlichten Studie stellten Matilda Gibbons und ihre Kollegen dieses Paradigma infrage, indem sie Hummeln eine Lösung mit unterschiedlichen Zuckerkonzentrationen (von 10 bis 40 %) präsentierten – wobei die höchste Zuckerkonzentration die bevorzugte Option der Bienen war. Als das 40%ige Futterhäuschen jedoch auf 55 °C erhitzt wurde, tauschten die Hummeln ihre Motivation, unangenehme Hitze zu meiden, gegen die Vorliebe für den hohen Zuckergehalt ein. Wenn die unbeheizten Futterhäuschen viel Zucker boten, mieden die Bienen die heissen Futterhäuschen. Aber wenn die unbeheizten Futterhäuschen weniger Zucker boten, waren die Bienen eher bereit, für die süssere Belohnung zu den heissen Futterhäuschen zu gehen. Das bedeutet, dass die Bienen eine Entscheidung aufgrund ihrer Motivation getroffen haben: Sie waren bereit, die Hitze zu ertragen, wenn sie dafür genügend Zucker bekamen. Die Bienen trafen diese Entscheidungen, indem sie lernten, Farben zu erkennen, die mit unterschiedlichen Zuckerwerten assoziiert waren, was nahelegt, dass sie ihr Gehirn benutzten, um die Optionen abzuwägen und zu entscheiden, anstatt einfach automatisch zu reagieren. Diese Verhaltensreaktion zeigte, dass das zentrale Nervensystem2 (welches das Gehirn mit einbezieht) beteiligt war, um erhitzte Futterhäuschen zu vermeiden. Das stützt den Gedanken, dass auch Insekten in irgendeiner Form ein Empfindungsvermögen haben.
Während die Forschung weiterhin die Komplexität des Insektenverhaltens untersucht, bleibt die immer dringlicher werdende Frage offen, ob Insekten Emotionen empfinden. Wenn selbst so kleine Lebewesen wie Hummeln Entscheidungen treffen, die eine Form von Empfindungsvermögen widerspiegeln, müssen wir unsere Annahmen über die Grenzen von Emotionen und Empfindungen im Tierreich überdenken. Dieses sich entwickelnde Bewusstsein kann tiefgreifende Auswirkungen darauf haben, wie wir alle fühlenden Wesen – unabhängig von ihrer Grösse oder Beschaffenheit – behandeln, und fordert uns auf, ein umfassenderes Verständnis von Empathie und ethischer Verantwortung zu entwickeln.
1 Das periphere Nervensystem (PNS) besteht aus Nerven, die vom Gehirn und Rückenmark abzweigen und jeden Teil des Körpers erreichen. Diese Nerven transportieren Botschaften hin und her, sagen dem Körper, was zu tun ist, und bringen Informationen von den Sinnen zurück ins Gehirn.
2 Das zentrale Nervensystem (ZNS) umfasst das Gehirn und das Rückenmark und steuert den Körper. Das Gehirn verarbeitet Informationen und trifft Entscheidungen, während das Rückenmark Signale zwischen Gehirn und Körper sendet. Das ZNS ist das Hauptkontrollzentrum und das PNS ist das Netzwerk, das dieses Kontrollzentrum mit dem gesamten Körper verbindet und es uns ermöglicht, uns zu bewegen, zu fühlen und auf unsere Umgebung zu reagieren.
Autorinnen und Autoren: Christopher Cederroth, Jessica Lampe und Robbie I’Anson Price, Swiss 3R Competence Centre
Literatur:
De Waal & Andrews K (2022) The Question of Animal Emotion. Science. 375:6587. https://doi.org/10.1126/science.abo2378
Gibbons M, Versace E, Crump A, Baran B, and Chittka L. (2022) Motivational trade-offs and modulation of nociception in bumblebees. PNAS 119(31):e2205821119.
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