Avenir Suisse-Studie bestätigt den Reformbedarf beim Patientenzugang - Interpharma

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17. April 2023

Avenir Suisse-Studie bestätigt den Reformbedarf beim Patientenzugang

Seit 2016 gibt es eine immer grössere Verzögerung zwischen der Marktzulassung von Medikamenten und ihrer tatsächlichen Verfügbarkeit über die Krankenversicherung. Aufgrund dieser zunehmenden Dauer und des wachsenden Staus müssen Patientinnen und Patienten zu lange auf den Zugang zu hochinnovativen Medikamenten warten. Die forschenden Pharmaunternehmen haben 2022 einen innovativen Vorschlag unterbreitet, um dieses Problem zu lösen – getan hat sich seither wenig. Eine Studie von Avenir Suisse bestätigt nun diesen Befund und zeigt, dass dieser Vorschlag es verdient hat, breiter diskutiert zu werden.

Wenn Medikamente und Therapien einen möglichst hohen Nutzen für Patienten und Gesellschaft mit sich bringen sollen, ist es essenziell, dass alle Patientinnen und Patienten rasch Zugang zu solchen medizinischen Durchbrüchen erhalten. Dies entspricht auch dem Wunsch der Bevölkerung, denn laut dem Gesundheitsmonitor 2021 wünschen sich fast 93% der Bevölkerung unverzüglichen Zugang zu neuen Medikamenten. Doch hier gibt es akuten Handlungsbedarf: In der Realität müssen Schweizer Patientinnen und Patienten heute bei innovativen Medikamenten teilweise Monate oder gar Jahre warten, bis diese auf die Spezialitätenliste (SL) genommen und damit rechtsgleich durch die obligatorische Grundversicherung vergütet werden – obwohl diese Medikamente längst durch die Zulassungsbehörde Swissmedic auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft und aufgrund ihres guten Nutzen-Risiko Profils zugelassen wurden. Diese Verzögerung von der eigentlichen Zulassung bis zum tatsächlichen Patientenzugang wächst ständig weiter an und immer mehr Dossiers stauen sich beim zuständigen Bundesamt für Gesundheit (BAG) an.

Schweiz hat ein Zugangsproblem bei innovativen Medikamenten

Während es noch 2015 von der Marktzulassung bis zur Aufnahme in die Spezialitätenliste im Mittel 42 Tage dauerte, betrug diese Zeitspanne im Jahr 2022 durchschnittlich 135 Tage – ganze 24% der 2022 erfolgten Aufnahmen benötigten sogar mehr als 365 Tage, anstelle der von Artikel Art. 31b KLV vorgesehenen 60 Tage. Das sind lange Zeiträume, in denen viele betroffene Patientinnen und Patienten auf den regulären und rechtsgleichen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten warten müssen. Fatal kann das insbesondere in Fällen sein, in denen die Situation lebensbedrohlich ist und die Zeit drängt.

Avenir Suisse fordert Vergütung ab dem ersten Tag der Swissmedic-Zulassung

Auch der Think Tank Avenir Suisse konstatiert in einer neuen Studie (Link) einen Bedarf für einen schnelleren und einfachen Preisfestsetzungsmechanismus – einerseits aus der Perspektive der betroffenen Patientinnen und Patienten, die sich lange Wartezeiten aus gesundheitlicher Sicht schlicht nicht leisten können, andererseits auch der ökonomischen Logik Rechnung tragend, dass der vergleichsweise kleine Schweizer Markt für die Hersteller nur dann attraktiv ist, wenn die Rahmenbedingungen gut sind und die Bürokratie sich in Grenzen hält. Kritisiert wird von Avenir Suisse etwa die Doppelrolle des BAG, das einerseits über den Preis und gleichzeitig über die Vergleichstherapien zur Preisfestsetzung bestimmt – ein inhärenter Interessenskonflikt. Zudem fordert Avenir Suisse, dass das BAG und Swissmedic in Zukunft die absolute und relative Wirksamkeit neuer Arzneimittel parallel prüfen und nicht – wie heute – sequenziell: Denn Swissmedic prüft heute (neben Sicherheit und Qualität) die absolute Wirksamkeit von Medikamenten. Anschliessend betrachtet das BAG die Wirksamkeit dieser Medikamente noch einmal – jedoch relativ, also im Vergleich mit anderen Therapien. Avenir Suisse schlägt vor, diesen Prozess zusammenzulegen und damit wertvolle Zeit zu sparen.

Vor allem aber muss der Mechanismus zur Preisfestsetzung zwischen den Behörden und den Produzenten laut Avenir Suisse klar und schnell sein, damit die Anwendung innovativer Arzneimittel möglichst wenig verzögert wird. Das ist gerade bei den hochinnovativen Arzneimitteln zentral, da es für die betroffenen Patienten oft keine wirkungsvollen Alternativen gibt. Ausserdem brauche es als Anschluss zum Fast track-Verfahren von Swissmedic auch einen entsprechenden beschleunigten Prozess beim BAG sowie eine Lösung für die Preisverhandlungen zwischen den Firmen und dem BAG, welche zunehmend anspruchsvoller würden. Dazu soll das BAG neue Medikamente sofort nach der Swissmedic-Zulassung zu einem vorläufigen Preis auf die Spezialitätenliste setzen. Das heisst: Krankenkassen vergüten innovative Medikamente ab dem ersten Tag der Zulassung durch Swissmedic zu einem vorläufigen Preis, wodurch Patientinnen und Patienten unmittelbaren Zugang zu diesen Arzneimitteln und Therapien haben. Dieser vorläufige Preis soll mechanistisch festgelegt werden und beispielsweise auf dem Durchschnittpreis basieren, der in anderen OECD-Ländern für das gleiche Medikament verlangt wird. Nach Festlegung des vorläufigen Preises hätten das BAG und der Pharmaproduzent 365 Tage Zeit, um den definitiven Preis auszuhandeln. Falls der definitive Preis niedriger ausfällt als der vorläufige, soll der Hersteller die Differenz zurückerstatten.

Diskussion ist weiterhin notwendig

Dieser Vorschlag von Avenir Suisse hat grosse Ähnlichkeit mit dem Konzept des Rückvergüteten Innovationszugangs (RIZ), welches Interpharma bereits im Mai 2022 präsentiert hatte.

Die Studie von Avenir Suisse ist aus Sicht von Interpharma begrüssenswert und ein wichtiger Beitrag zur Diskussion. Sie bestätigt zudem, dass der Vorschlag der Pharmabranche zur dringend nötigen Beschleunigung des Patientenzugangs in der Schweiz interessant ist und es verdient hat, breiter diskutiert zu werden. Die Pharmabranche nimmt ihre Verantwortung wahr und trägt zu einer breit zugänglichen und qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung bei, die gleichzeitig nachhaltig finanzierbar ist – nicht nur durch das Mittragen der regelmässigen Preisüberprüfungen, sondern auch mit konstruktiven und ernsthaften Vorschlägen zur Verbesserung des Systems. Es ist zu hoffen, dass auch die institutionellen Akteure sich dieser Diskussion weiterhin stellen und konstruktiv mithelfen, an einer Lösung mitzuarbeiten, die für alle Beteiligten – vor allem aber die Patientinnen und Patienten – annehmbar ist.


Einordnung: Position von Interpharma zur Studie von Avenir Suisse
Avenir Suisse analysiert in einer neuen Studie die Mechanik des Arzneimittelmarktes im Spannungsfeld von Patienten, Regulierung und Industrie und thematisiert dabei, wie ein «rascher und finanzierbarer Zugang zu hochpreisigen Innovationen gesichert werden» könne. Avenir Suisse schlägt darin neben anderem auch ein neues Finanzierungsmodell für innovative Medikamente vor. Interpharma begrüsst, dass Avenir Suisse einen Vorschlag zur Beschleunigung des Vergütungsprozesses für neue innovative Arzneimittel unterbreitet, damit Patientinnen und Patienten sofort ab dem Tag der Swissmedic-Zulassung Zugang zu lebenswichtigen Therapien erhalten. Kritischer sieht Interpharma allerdings das Konzept der «Quality Adjusted Life Years» (QALY) in Verbindung mit starren Schwellenwerten (=Zahlungsbereitschaft für ein gesundes Lebensjahr), welche von Avenir Suisse für die Preisfindung bei neuen Medikamenten vorgeschlagen wird. Diese umstrittene Methode greift zu kurz, da sie günstige, aber weniger wirkungsvolle Behandlungen gegenüber komplexen, aber möglicherweise heilenden Therapien bevorzugt. Ebenso bildet sie den gesellschaftlichen Zusatznutzen einer medizinischen Innovation nicht ab (Beispiel: Eine neue Therapie ermöglicht einem Patienten die vollständige Genesung sowie eine schnellere Rückkehr an den Arbeitsplatz und entlastet damit gleichzeitig die Sozialwerke infolge tieferer Kosten in anderen Sozialversicherungen als der OKP).
Zudem benachteiligt die Methode Menschen mit seltenen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen systematisch und ist daher aus ethischer Sicht fragwürdig. Schliesslich widersprechen starre Schwellenwerte für ein Lebensjahr in vielen Fällen dem gesellschaftlichen Gerechtigkeitsempfinden, indem unter Umständen die Behandlung von «Bagatellerkrankungen» der Behandlung einer schwerwiegenden Krankheit vorgezogen werden könnte. Daher sollten QUALYs in der Schweiz nicht als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen dienen.

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